Mittwoch, 5. Juni 2019

Des Kaisers neue Kleider oder Bomben unterm Meer

Die vermeintliche Rechtmäβigkeit der angeblichen Einheit Spaniens

Seit dem bewaffneten Aufstand der Rebellen unter dem Kommando des Generals Francisco Franco gegen den demokratischen Rechtsstaat wurde groβe Sorgfalt darauf verwendet, ihrem Vorgehen einen Anschein von Rechtmäβigkeit zu geben. (1) Die Hinrichtung der Regimegegner, die sich bis in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erstreckten, geschah unter dem Schutz von Gesetzen, die zu diesem Zweck verabschiedet wurden. Der Fortbestand des Regimes nach dem Tode des Diktators in Form einer parlamentarischen Monarchie wurde gemäβ seiner testamentarischen Bestimmungen gesichert. Eine „Amnistie“ wurde verfügt durch ein Gesetz, das die Untersuchung der Verbrechen gegen die Menschheit, die unter dem Franco-Regime stattgefunden haben, verhindern sollte.Vom Staatsstreich gegen den demokratischen Rechtsstaat 1936 bis hin zur Gegenwart stimmt die vom spanischen Staat verkündete Rechtmäβigkeit genau mit des Kaisers neuen Kleidern überein.

Der Prozess gegen die katalanischen Politiker und Leiter der Bürgerinitiaven ANC und Omnium und die kontinuierliche lawfare gegen jegliche Souveränitätsbestrebung ist ein weiteres Beispiel. Tatsächlich ist die Interpretation des Artikels über die Einheit Spaniens, auf die sich die ganze Anklage stützt, verfassungswidrig. Die gesamte Konstruktion des Falls, die Anklage, die Untersuchungen, die Bestrebungen, die Befragung des katalanischen Volkes zu unterdrücken, all das basiert auf Amtsanmaβung und Veruntreuung öffentlicher Mittel. Der spanische Staat macht sich also wiederum in aller Öffentlichkeit genau der Delikte schuldig, für die er die Vertreter des katalanischen Volkes anklagt.

Warum wagt es weder die internationale Gemeinschaft noch die spanische Bevölkerung, darauf hinzuweisen, daβ der Kaiser nackt ist? Auf dem Meeresboden liegen in aller Welt Millionen von Tonnen an Bomben, Minen, Torpedos, Granaten, Giftgase, Munitionen und Waffen jeglicher Art, die entweder im Kampf versenkt wurden im Verlauf der zwei groβen Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts oder jeweils danach in der Absicht, sie so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Das Metall verrostet und gefährliche Substanzen geraten in die Nahrungskette der Meeresbewohner, und somit auch in unsere, sie werden an die Strände geschwemmt und in Fischernetzen an Bord gezogen, führen zu Verletzungen, Tod und Erkrankungen. Und die Verantwortlichen schweigen. (2)

Das Meer ist ein Symbol des kollektiven Unbewuβten und die Inhalte, die sich darin befinden, können im wahrsten Sinne des Wortes explodieren und die Weltanschauung und das Selbstbild vieler Menschen zerstören; sie können deren Leben verschmutzen, und Krankheiten können daraus enstehen, wenn sie nicht erkannt, geborgen und sachgemäβ entschärft werden.

Der „Sieg“ der Rebellen hat eine tiefe Spaltung in der spanischen Gesellschaft bewirkt in Sieger und Besiegte. Das Vorhaben der Sieger, die Besiegten ihren Vorstellungen gemäβ zu formen, hat nicht nur die Gesellschaft gespalten, sondern hat auch bei den meisten Spaniern dazu geführt, daβ sie den Zugang zu ihrem eigenen Innenleben verloren haben. Die Besiegten muβten ihre Gefühle verbergen, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, als Regimegegner denunziert und hingerichtet oder aus der Gesellschaft ausgeschlossen  zu werden. Nur eine gewisse Zahl von Leuten, die über eine ausreichende Fähigkeit zur Resillienz verfügten, waren in der Lage, die Hölle der Verfolgung im Laufe der Nachkriegsjahre unter dem Schutz ihrer tiefen Überzeugungen zu durchqueren. Viele konnten nichts weiter tun, als die wenigen Möglichkeiten nutzen, ihre Gefühle zu verarbeiten, um soweit wie möglich zu überleben. (3) Die Sieger hatten zwar eine Vielzahl an Gelegenheiten und Unterstützung zur Verarbeitung ihrer Trauer über ihre Verluste, aber die Schuld, die sie durch ihre Mitwirkung bei der Stürzung des demokratisch gewählten Rechtsstaates erworben hatten, hielten sie nicht aus. Sie wurde verdrängt, denn für die Sieger war es undenkbar, daβ sie durch ihr Handeln ein Schuld auf sich geladen hatten. Sie fühlten sich total im Recht. Und so ist es auch bei bei ihren Nachfolgern: auch für sie ist die Schuld ihrer Vorgänger unerträglich und somit undenkbar. Darum projizierten und projizieren sie sie auf die Besiegten und deren Nachfolger. Sowohl die Sieger wie auch die Besiegten übertrugen die unverarbeiteteten unbewuβten Inhalte ihrer Psyche auf ihre Nachfolger, die ihrerseits die selben Dynamiken wiederholen oder daran erkranken. 

Die Gewalttätigkeit der Sieger gegen die Besiegten hat eine tiefe Spaltung in der spanischen Gesellschaft bewirkt, die sich bis in die Gegenwart erstreckt. Sie ist vorhanden in der Psyche der Besiegten, die an ihrer eigenen tatsächlichen oder moralischen Hinrichtung mitwirkten, die zum Werkzeug des Genozids wurden und die Länder, die nicht spanisch sein wollen, mit verarmten Spaniern bevölkerten, und auch derer, die sich von den katalanischen Souverenitätsbestrebungen bedroht fühlen und darum "a por ellos" singen. Gespalten ist auch die Psyche der Sieger, die sich damit brüsteten und brüsten, eine legitime Regierung enthauptet zu haben, die sich unter den Sotanen der Rechtssprechung verbargen und verbergen, und derer, die verkündeten und verkünden, daβ sie Politik für die gesamte Bevölkerung machen wollen, aber gleichzeitig die Bestrebungen der Bevölkerung, die anders sind als ihre eigenen, für illegal erklären.

Wenn die internationale Gemeinschaft oder die spanische Bevölkerung die Nackheit des Kaiser aufzeigen würde, müβten sie die Spreng- und Giftstoffe in den Gewässern ihrer eigenen Psyche zur Kenntnis nehmen. Und das macht Angst. Tatsächlich ist es gefährlich, aber es nicht zu tun, ist noch viel gefährlicher.

Ob es sich nun um tatsächliche Bomben auf dem Meeresgrund handelt oder um unbewuβte Materialien im Zusammenhang mit Trauma und Schuld, sowohl eigene als auch ererbte, sie zu erkennen und zu bergen ist mit einem groβen Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Wenn wir es nicht angehen, sind unsere Zukunftsaussichten um ein Vielfaches düsterer. Aber wenn wir die nötige Arbeit tun, kann der Teufelskreis des Traumas zu einer Lernspirale werden. (4)

© Brigitte Hansmann, Archetypische Musteranalyse

(1) Gómez Bravo, G., Geografía humana de la represión franquista: del golpe a la guerra de ocupación (1936-1941), Cátedra, Madrid 2017

(2) Bomben im Meer, ein Film von Frido Essen, Das Erste Montag, 3. Juni 2019, https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/bomben-im-meer-100.html  (gesehen am 4. Juni; heute, am 13. Juni konnte ich nur noch die Reportage über den Film finden, das Video ist nichtmehr zu finden und im Archiv des Tages der Sendung erscheinen nur andere Documentarfilme)

(3) Sieburth, S., Coplas para sobrevivir: Conchita Piquer, los vencidos y la represión franquista, Cátedra, Madrid 2016

(4) Hansmann B. Generationsübergreifende Traumata - Teufelskreis oder Lernspirale, https://ellabuchenwald.blogspot.com/2018/12/generationsubergreifende-traumata.html 

Der selbe Text auf Katalanisch: El vestit nou de l'emperador

www.dfa-europa.com

Montag, 25. Februar 2019

Die Wende

Eigentlich war ich 1977 auf dem Weg nach Marokko, um dort einen Freund zu besuchen. Doch dann entdeckte ich Katalonien. Irgend wie war ich erleichtert. Ich fühlte mich sicher und aufgehoben, wie zu Hause. Die sogenannte Wende (la transición) von der Diktatur unter Franco zu einem demokratischen Rechtsstaat führte 1978 zur  Verabschiedung der Verfassung einer parlamentarischen Monarchie, so wie Franco es in seinem Testament verfügt hatte. Der Gedanke, beim Aufbau einer jungen Demokratie mitzuwirken, war einer der Beweggründe, die zu meinem Beschluβ führten, mich nach Abschluβ meines Studiums der Angewandten Sprachwissenschaften 1980 in Barcelona niederzulassen. All diese Jahre habe ich zunächst als Übersetzerin und später als Praktiker der Somatischen Mustererkennung und als Archetypische Musteranalytikerin meinen Beitrag zu den Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft geleistet, indem ich Menschen dabei half, sich untereinander und sich selbst zu verstehen und demokratisches und selbstbestimmtes Handeln zu erlernen. 

Am 6. September 2017 legte ich mich wie gewöhnlich nach dem Mittagessen ein Weilchen aufs Sofa und machte die Augen zu. Im Fernsehen liefen die Nachrichten. Als ich die Stimme der Präsidentin des Parlaments Carme Forcadell hörte, die Marta Rovira fragte, warum sie um das Wort bat, war ich auf einmal hell wach. Ich hatte das Gefühl, daβ alles, was ich in meinem Leben bisher getan habe, darauf abzielte, mich auf das vorzubereiten, was in diesem Moment begann. Ja selbst der Ort, an dem ich zur Welt kam, hat mir mit seiner Geschichte die nötigen Umstände geboten, die mich dazu führten, ein Wissen und Verständnis zu entwickeln, das für den Prozess der Selbstbestimmung unabdinglich ist.

Demokratisches Verhalten muβ man lernen und üben, nicht nur in Spanien. Da reicht es nicht, eben mal eine Verfassung zu verabschieden und sich dann stets auf deren felsenfestes Bestehen zu berufen. Zunächst einmal ist die spanische Verfassung verfasst worden von Menschen, die noch voll unter dem Bann des totalitären Regimes standen, in Erfüllung eines testamentarischen Mandats des Diktators und ohne Klärung der Verbrechen gegen die Menschheit, die unter diesem Regime stattgefunden hatten. Der Artikel über die unteilbare Einheit des Vaterlandes aller Spanier, auf dem die gesamte Argumentation des spanischen Staates gegen die katalanischen Bestrebungen zur Selbstbestimmung beruht, ist mit dem Rest der Verfassung, mit den Grundprinzipien eines Rechtstaates,  mit dem internationalen Recht und mit den allgemeinen Menschenrechten nicht vereinbar. In der in Spanien verfochtenen Interpretation ist er tatsächlich verfassungswidrig und rechtswidrig!

Wenn man davon ausgeht, daβ die Absicht, einen demokratischen Staat zu schaffen, ehrlich ist, muβ man dem auch die nötige Zeit zugestehen. Der Prozess der Wende hat bestenfalls gerade mal die erste Phase durchlaufen. Die Korruption zahlreicher Politiker der jeweils regierenden Parteien in Spanien ist Ausdruck der Unreife in dieser Hinsicht. Auch die Ernennung bzw. Absetzung von Richtern gemäβ der politischen Interessen der jeweiligen regierenden Parteien bezeigt einen Mangel an Reife in Sachen Gewaltenteilung. Die ständigen Beteuerungen der spanischen Politiker und Justizbeamten sowie des monarchischen Staatsoberhauptes, das Spanien eine konsolidierte Demokratie und ein moderner Rechststaat sei, hören sich angesichts ihrer Haltung, ihrer Aussagen und ihrer Handlungen für diese Musteranalytikerin an wie die Beteuerungen eines zweieinhalbjährigen, der darauf besteht, daβ er seine Schuhe alleine zubinden kann. Es ist nicht genug, Namen anzunehmen, die auf eine demokratische Haltung hinweisen. Demokratisches Verhalten zu erlernen und einzuüben geht nicht von heute auf morgen. Vor allen Dingen muβ man bereit sein, Andersdenkenden Gehör zu schenken, und die Möglichkeit erwägen, daβ sie Recht haben und man selbst vielleicht nicht.

Wenn man zum Beispiel dem jetzigen Auβenminister Borrell zuhört,  ob er nun Englisch radebrecht oder Französisch oder Spanisch spricht, selbst wenn man keine dieser Sprachen versteht, kann man ganz klar sehen und hören, daβ er den Raum in seinen Mund sehr klein macht. Wahrscheinlich ist es ihm nicht bewuβt, aber sein Körper weiβ ganz genau, daβ er zu dem, was er sagt, nicht stehen kann. Aber das auch zuzugeben, wäre ihm persönlich wahrscheinlich höchst unangenehm, nicht zuletzt weil es ihn in Spanien recht unpopulär machen würde . 

Für Deutsche und Koreaner, z. B., die eine gewaltsame Teilung ihrer Heimat erlebt haben, ist es nicht leicht zu verstehen, daβ das katalanische Volk sich aus der sogenannten Einheit Spaniens ausgliedern möchte, denn die Tatsache, daβ diese vermeintliche Einheit gewaltsam erzwungen wurde im 20. Jahrhundert von den Rebellen unter dem Kommando von General Franco und vor 300 Jahren von den Truppen von Felipe V, dem Enkel des französischen Absolutisten Louis XIV, in Miβachtung der testamentarischen Bestimmung, daβ die unterschiedlichen Institutionen und Rechte der verschiedenen Reiche zu achten seien, wird in Spanien und weiten Teilen Europas verschwiegen, geleugnet oder als irrelevant abgetan.

Das Verfahren gegen die vom katalanischen Volk gewählte Regierung und die Leiter der Bürgerinitiativen Omnium und ANC, das am 12. Februar 2019, begann, wird zeigen, ob vierzig Jahre Übung in demokratischem Verhalten wenigstens den Beginn eine Wende zustande gebracht haben, oder ob die Schergen des Diktators weiterhin am Werk sind. Ich bin stolz auf die Haltung der Leute, die jetzt auf der Bank der Angeklagten sitzen. Vom Gehalt ihrer Aussagen bis hin zum Klang ihrer Stimmen kann man hören und sehen, daβ sie von ganzem Herzen sprechen und wahrhaftig zu dem stehen, was sie sagen: Selbstbestimmung ist kein Delikt. Das ist so erfrischend im Vergleich zu der emotionalen Ladung, den Lügen und der Rechtsverdrehung in den Reden all derer, die die sogenannte Einheit Spaniens mit allen Mitteln verteidigen wollen und dabei Worte wie Demokratie, Verfassung, Rechststaat auf eine Art und Weise verwenden, die sie zu gehaltlosen Floskeln und Clichés machen.

(c) Brigitte Hansmann, DFA-Praktiker der somatischen Mustererkennung und archetypische Musteranalytiker.

www.dfa-europa.com

auf katalanisch  La transició
auf spanisch  La transición

Donnerstag, 20. Dezember 2018

Generationsübergreifende Traumata - Teufelskreis oder Lernspirale

Somatische und archetypische Perspektiven des individuellen und kollektiven generationsübergreifenden Traumas an der Wurzel des Konfliktes zwischen Katalonien und Spanien


Vorwort

Wenn man ein traumatisches Erlebnis gehabt hat, braucht man Zeit, um das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Eine Zeit lang mögen gewisse Reize, die irgend eine Ähnlichkeit mit den Geschehnissen aufweisen, einem unerträglich erscheinen. Man vermeidet zum Beispiel die Stelle, an der es geschah; gewisse Düfte mögen Abwehrreaktionen hervorrufen; eine Stimme oder ein Stimmfall, der Klang von Musik oder einer Sprache, oder gewisse Worte können Empfindungen auslösen, die einem unangenehm sind, oder sogar gewalttätige Reaktionen.

Einige Menschen versuchen es, ihr Leben so zu organisieren, daβ sie diesen Reizen aus dem Weg gehen können, aber selbst wenn ihnen das gelingt –und das ist oft nicht möglich-, entwickeln sie Symptome von posttraumatischem Streβ und nehmen Medikamente oder andere Drogen, um sie zu unterdrücken. Unterhalb der Bewuβtseinsschwelle steigt im Laufe der Zeit der Druck der verdrängten Energien, die verdaut werden müβten, um ein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. In dem Maβe, in dem der Druck ansteigt, wächst der Kraftaufwand, der nötig ist, um diese Energien aus dem bewuβten Erleben fernzuhalten. 

Andere Menschen unternehmen die nötigen Schritte, um das Erlebte zu verarbeiten. Sie assimilieren, was für ihr weiteres Leben nützlich ist, und den Rest scheiden sie aus. Das Leben der Leute aus der ersten Gruppe wird immer enger. Sie stecken in einem Teufelskreis unendlicher Wiederholungen der selben Dynamiken, die immer wieder ähnliche traumatische Bedingungen herbeibringen. Die Verhaltensmuster, die sie entwickelt haben, um sich gegen die Empfindungen, die sie nicht ertragen, zu schützen und die Empfindlichkeit gegenüber Reizen, die eben diese Empfindungen hervorrufen, werden von Generation zu Generation übertragen. Diese Leute leben entfremdet von einem weiten Bereich ihres Innenlebens in einer ständigen Abwehrhaltung gegenüber einer Umwelt, die sie als feindlich erleben. 

Die zweite Gruppe lernt von ihrem Erlebnis. Selbst wenn diese Leute schwerwiegende Leiden ertrugen, durch die Verarbeitung des Erlebten lernen sie es, eine bessere Beziehung zu ihrer Umwelt herzustellen und das Leben an sich, das eigene und das anderer, mehr wertzuschätzen. Sie lernen es, Gelegenheiten, die das Leben ihnen bietet, zu erkennen und zu nutzen, und ihren Zeitgenossen und Nachfolgern dabei zu helfen von den eigenen Fehlern und Erfolgen und denen anderer zu lernen.

In dieser Trilogie möchte ich einige Dynamiken des Traumas aufzeigen, einige Aktivitäten, die helfen können, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen und andere, die die Spuren des Traumas immer tiefer in den Körper und die Psyche eingravieren.  Und ich möchte einen Punkt klären, der vielen Menschen schwerfällt: wie diese Spuren von einer Generation zur nächsten übertragen werden. Ich habe drei besondere Daten ausgewählt, die mit kollektiven Traumata zusammenhängen, um die Dynamiken zu beschreiben und zu zeigen, was traumatisiert, was heilt, was Trauma in einem Teufelskreis verewigt und wie man daraus lernen und die ständige Wiederholung in eine Lernspirale umwandeln kann. 

Ich schreibe auf Katalanisch, vom Standpunkt der Katalanin, zu der ich geworden bin, und übersetzte dann. Als Deutsche, die ich bin, weil ich in Deutschland als Tochter und Enkelin deutscher Eltern und Groβeltern zur Welt gekommen und aufgewachsen bin, und zwar zehn Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, habe ich 1977 Katalonien entdeckt. Land und Leute haben mich mit offenen Armen empfangen und es mir ermöglicht, Wege zu finden, mein Innenleben zu erforschen und den nötigen Abstand von meinem Heimatland zu gewinnen, so daβ ich etwas in Perspektive setzen konnte, von dem ich nicht mehr wuβte, als daβ es mich krank machte und ich wahrscheinlich jung daran sterben würde, wenn es mir nicht gelang, herauszufinden, was das war und wie ich es beheben könnte. Ich konnte mich in die katalanische Gesellschaft einbringen und das entwickeln, was mich glücklich macht und persönlich und beruflich erfüllt. Ich habe herausgefunden, was mich krank machte, zunächst im persönlichen und familiären Bereich, doch das Gefühl einer andauernden Lösung kam erst mit der Erkenntnis, daβ das, was mich krank machte, eine kollektive Dimension hatte.

Zum Beispiel den Spaniern und Katalanen gegenüber erkenne ich, daβ ich als Deutsche einen proportionalen Anteils der Schuld trage, den Rebellen unter dem Kommando von General Franco geholfen zu haben, den demokratischen Rechtsstaat der spanischen und der katalanischen Republik zu stürzen, sein totalitäres Regime mit Gewalt durchzusetzen, und eine Vielzahl von Verbrechen gegen die Menschheit begangen und verhüllt zu haben. Vom Standpunkt der somatischen Mustererkennung (Hansmann, 1997 und 2013) und der archetypischen Musteranalyse (1999 und 2008) sind die Dynamiken ganz klar. Das sind die Werkzeuge, die es mir ermöglichen, die Dynamiken des generationsübergreifenden Traumas zu erkennen und zu beschreiben. Mit diesen Werkzeugen können Menschen die Muster erkennen, die im Umfeld von Krieg und Diktatur entstanden sind, um sich an die Umstände anzupassen und darin zu überleben. Sie helfen dabei, Verhaltenweisen zu entwicklen, die ein erfülltes Leben in Frieden und Freiheit fördern.

Wenn in dieser Trilogie auch hauptsächlich Katalonien und Spanien und Deutschland genannt werden, sind die Dynamiken, die das Leben im Teufelskreis der generationsübergreifenden Traumata gefangen halten und es in eine Lernspirale verwandeln können, in allen Ländern der Welt gleich. Ich habe jeden Teil am jeweiligen im Titel genannten Tag begonnen, zunächst auf katalanisch, dann habe ich den Text in Spanische übersetzt, dann ins Deutsche und zuletzt in Englische. Ich hoffe, er wird viele Menschen in aller Welt erreichen und ihnen dabei helfen, die Prägungen des Traumas hinter sich zu lassen und gute Beziehungen zu allen anderen herzustellen.

Bei der Arbeit mit meinen Klienten erlebe ich es immer wieder, daβ der Körper darauf anspricht, wenn erkannt wird, was ihn in einem Muster gefangen hält, das Schmerzen bereitet. Beispielsweise sagte kürzlich eine Frau, sie könne einen bestimmten Teil ihres Beines nicht wirklich spüren. Es fühlte sich so an, als ob es gar nicht ihr Bein sei, sagte sie. Ich schlug vor, einen Versuch zu machen und dieses Gefühl als wahrhaften Ausdruck der Wirklichkeit zu verstehen; denn es könnte immerhin sein, daβ sie damit begonnen hatte, ihr Bein so anzuspannen, wie sie es gewohnheitsmäβig tut, ohne sich dessen bewuβt zu sein, im Zusammenhang mit irgend etwas, was sie als kleines Mädchen im Umgang mit ihrer Mutter, ihrem Vater oder anderen ihr nahestehenden Personen erlebt hatte, und daβ die Spannung eigentlich jener Person gehörte viel mehr als ihr selbst. Während ich sprach, hatte ich ihr Bein und ihren Fuβ in meinen Händen. Es war beeindruckend zu spüren, wie ihr Fuβ immer schwerer wurde, während die Spannung im Bein nachlieβ, als meine Worte in ihrem Gehör ankamen, noch bevor sich wirklich ein umfassendes Verständnis ausbilden konnte von dem, was ich sagte.

Wenn die Spannung nachläβt, treten für gewöhnlich die emotionalen Inhalte zutage, die sie unterhalb der Bewuβtseinsschwelle hielt. Wenn es sich um Angelegenheiten früherer Generationen handelt, kommt es oft darauf an, einen Kontext zu kennen, um erkennen zu können, worauf die Empfindungen hinweisen. Wenn man den Nagel auf den Kopf trifft, dann spricht der Körper darauf an. Wenn es nichts weiter als Spekulationen ohne wirklichen Gehalt sind, passiert gar nichts. Zur Zeit wissen wir noch nicht, worum es sich bei dieser Sache mit dem Bein dreht, aber möglicherweise wird eine Nachricht, ein Film, eine Werbung oder ein Gespräch zwischen den Leuten, die im Bus eine Reihe weiter hinten sitzen mit dem fraglichen Geschehnis in Resonanz treten, etwas im Körper in Bewegung setzen, was ein Detail der Geschichte enthüllen kann. Oder vielleicht kommt mehr Information in einer späteren Sitzung. Hier ist letzteres der Fall. In den folgenden Wochen klärten sich eine Reihe von Dingen, die bis dahin wie eine dichte bedrückende Wolke in der Luft hingen, ohne daβ man erkennen konnte, was das Bedrückende eigentlich war. Gemeinsam mit dem Verständnis einzelner Aspekte der Geschichte ihrer Familie kommt es zu einer Reihe von körperlichen Veränderungen: der Raum im Innern ihres Körpers ist offener, die Symptome auf ihrer Haut klingen ab, sie bewegt sich freier, die innere Offenheit spiegelt sich auch in ihrem Gesicht wieder und sie ist hübscher.

Die Traumata und Schuld, die wir unterhalb der Bewuβtseinsschwelle halten, verfolgen uns aus dem Schatten des Unbewuβten, sie rufen Krankheiten hervor, machen Beziehungen schwierig, und führen zu Miβerfolgen und Bankrott. Wenn wir sie ans Licht des Bewuβtseins bringen, entdecken wir, daβ sie weniger Angst machen und weniger weh tun, als wir uns angesichts des Schattens, den sie projizieren, vorstellen konnten. Wenn wir es lernen, die Empfindungen, die gegenwärtig im Körper flieβen, zu erkennen, können wir die Empfindungen unterscheiden, die zu den traumatischen Geschehnissen der Vergangenheit gehöhren, ohne uns von den Abwehrmechanismen mitreiβen zu lassen, die wir selbst entwickelt oder geerbt haben. Dann können wir sie loslassen und unserer Aufmerksamkeit darauf wenden, was gegenwärtig notwendig ist, um gute Beziehungen herzustellen und unser Leben so einzurichten, daβ wir damit zufrieden sein können.

Teil 1

11. September


Wenn man die Dynamiken versteht, die stattfinden, wenn ein Erlebnis uns traumatisiert, hilft es, eventuelle Wunden zu heilen, Wiederholungen vorzubeugen und es zu vermeiden, daβ Traumareaktionen zu Gewohnheitsmustern werden.

Gewohnheitsmuster 

Wenn wir uns daran gewöhnen, etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu tun, wird es zu einem Gewohnheitsmuster, einem unbewuβten automatischen Mechanismus. Das hat viele Vorteile. Zum Beispiel wenn man Autofahren lernt, erfordert der Bewegungsablauf, die Kupplung kommen zu lassen und gleichzeitig Gas zu geben, eine groβe Menge von Aufmerksamkeit.  Aber wenn man es erstmal gelernt hat, braucht man keinen Gedanken mehr darauf verschwenden, denn es ist zu einem automatischen Muster geworden. Die einem jeden eigene Art zu gehen und sich zu bewegen, der Klang der Stimme, gewisse sprachliche Wendungen sind unter vielerlei anderem Dinge, die auf Gewohnheitsmustern basieren, die ganz automatisch ablaufen und den Weg frei lassen, um die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte der Handlung zu richten.  Beim Tanzen zum Beispiel, wenn wir die grundlegenden Schritte erstmal verinnerlicht haben, haben wir ein Gewohnheitmuster entwickelt, das es uns erlaubt, zu improvisieren und mit verschiedenen Figuren zu spielen, ohne groβ darauf achten zu müssen, die Schrittfolge einzuhalten, die den Tanz zu einem Tango macht im Unterschied zu einem Walzer oder einem Foxtrott.

Im Lauf der Evolution haben wir Lebewesen eine Reihe von Strategien zur Wahrung der physichen und psychischen Unversehrtheit entwickelt, die sich angesichts einer Gefahr automatisch in Gang setzen. Je nach Art der Situation und dem Charakter des Betroffenen wird die Bereitschaft ausgelöst, die Flucht zu ergreifen, zu kämpfen oder in bewegungslose Starre zu verfallen. Das geschieht mit gröβter Geschwindigkeit jenseits der bewuβten Kontrolle. Wenn die Gefahr vorbei ist, brauchen wir Zeit, um uns zu beruhigen, uns neu zu orientieren und die Energie- und Hormonladung, die durch das traumatische Erlebnis ausgelöst wurde, abzubauen, selbst wenn wir die Situation heil und unversehrt überstanden haben. Das kann unter Umständen Zittern, Weinen, Bilder der Geschehnisse, Schütteln, usw. mit sich bringen. Wir brauchen Zeit, um die Geschehnisse nachzuvollziehen, um zu verstehen, was passiert ist, was wir getan haben, welche Wirkung es auf uns gehabt hat, was die Geschehnisse und das, was wir getan haben, an Bedeutungen mit sich bringen, um schlieβlich das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn wir verwundet wurden, können diese Schritte wichtig für eine endgültige Heilung sein.

Wenn in der traumatischen Situation weder Flucht noch Kampf noch Bewegungslosigkeit möglich sind oder nicht ausreichen, um die Gefahr abzuwenden, setzt als letzter Ausweg ein Zustand von allgemeiner Schlaffheit ein und Empfindungen werden betäubt. Auf diese Art kann sich immer noch eine Gelegenheit ergeben, sich doch noch aus der Gefahr zu befreien, oder zumindst wird der Schmerz, sterben oder unter den traumatischen Umständen leben zu müssen, erträglich mit nur wenigen Empfindungen oder Empfindungen von geringer Intensität.

Posttraumatischer Streβ

Wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, nach einer traumatischen Situation die nötigen Schritte zu unternehmen, um das Erlebnis abzuschlieβen, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen und von der Erfahrung zu lernen, bleiben die Energie- und Hormonladungen im Organismus. Dann fühlt es sich ständig so an, als ob gleich etwas schwerwiegendes passieren würde. Je nach Art des Traumas, welches man erlebt hat, verbleibt man in einem Zustand innerer Unruhe, in ständiger Bereitschaft, den Kampf aufzunehmen oder die Flucht zu ergreifen, oder man versinkt in einem depressiven Zustand der Wehrlosigkeit und Machtlosikeit.

Ein einmaliges zeitlich begrenztes Trauma, wie zum Beispiel ein Unfall, ein Verlust, ein Angriff oder auch Zeuge eines Unfalls oder Überfalls zu sein, unterscheidet sich von einer lang andauernden traumatischen Situation, wie Vernachlässigung, Miβbrauch, Mobbing, Gewalt in der Familie, Krieg, Völkermord. Doch wenn das innere Gleichgewicht nicht wiederhergestellt wird, schwächt unabhängig von der Dauer der traumatischen Situation der posttraumatische Streβ allmählich den Organismus. Zum einen entstehen so vielerlei verschiedenartige Symptome, die sich zu verschiedenen Arten von Krankheiten entwickeln können, zum anderen kann diese Art von Streβ auch eine Tendenz mit sich bringen, unbewuβt Situationen zu schaffen, die die Dynamiken der ursprünglichen traumatischen Situation wiederholen. Und er wird an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.

Generationsübergreifende Traumata

Eine Reihe von Studien belegen, daβ posttraumatischer Streβ genetisch durch die männliche Linie übertragen wird. [Zum Beispiel: Rodgers 2015] Die Daten weisen darauf hin, daβ bei Männern, die eine traumatische Situation verarbeiten und es lernen, Situationen zu erkennen, die zu einer Wiederholung des Traumas führen könnten, und besser damit umzugehen, so daβ Verhaltensweisen entstehen können, die ein besseres Verhältnis zur Umwelt fördern, diese positiven Auswirkungen des Lernprozesses sich in der DNA niederschlagen und an die nächste Generation weitergegeben wird. Aber auch die schädlichen Auswirkungen, die zu einer blinden Wiederholung der gewohnten Traumareaktionen führen, werden vererbt und halten die Prägung des Traumas am Leben in einem Teufelskreis von Trauma, posttraumatischen Streβ und Retraumatisierung.

Neben der Vererbung ist die Entwicklung im Lauf der ersten Lebensjahre ein wichtiger Faktor bei generationsübergreifendem posttraumatischem Streβ. Das Nervensystem organisiert sich im Umgang mit der Umwelt. Im ersten Lebensjahr entwickelt sich hauptsächlich die rechte Gehirnhälfte, wo Sinneswahrnehmungen geordnet werden. Die im Körper stattfindenden Empfindungen entstehen aus den inneren Abläufen wie Verdauung, Atmung, Kreislauf, usw. und der Beziehung zur Umwelt. Das Nervensystem arbeitet auf Hochtouren, um den Fluβ all dieser Sinneswahrnehmungen zu organisieren, indem es Verbindungen herstellt, stärkt oder auch schwächt, je nach dem wie häufig sie genutzt werden, oder sogar ganz unterbricht. Empfindungen, die einander ähneln, werden in Gruppen innerhalb der groβen Kategorien »angenehm, unangenehm, neutral« zusammengefasst. Später, wenn wir Sprache lernen, verknüpfen wir Bedeutungen damit, die im Allgemeinen unterhalb der Bewuβtseinsschwelle bleiben aber später beim Treffen von Entscheidungen und Aufbau von Verhaltensweisen zum Tragen kommen. Wir lernen Verhaltensweisen, die uns möglichst angenehme Empfindungen bereiten und unangenehme möglichst vermeiden. Auf neutrale Empfindungen achten wir nicht besonders. So entsehen unsere Gewohnheitsmuster.

Von Anfang an stimmt sich das neugeborene Kind auf seine Umgebung ein, als Sender und Empfänger einer Vielzahl von subtilen und gar nicht so subtilen Signalen. Die Mutter weiβ, was das Kind braucht, weil sie die Signale empfängt, die das Kind sendet, und das Kind beruhigt oder beunruhigt sich je nach den Signalen, die es vom emotionalen Zustand der Mutter empfängt. Diese Einstimmung ist nicht nur auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind beschränkt. Vielerlei Signale stürmen ständig auf uns ein und wirken sich aus. Ein Beispiel, das wahrscheinlich ein jeder kennt, ist es neben einem wütenden Menschen zu stehen. Man braucht keinen besonders hoch entwickleten Grad von Sensibilität, um den emotionalen Zustand dieser Person im eigenen Körper zu spüren. So kann es sein, daβ man sich auf einmal wütend und gereizt fühlt, ohne wirklich zu wissen warum. Die Tendenz, sich auf die Umgebung einzustimmen und sich an ihren Rhythmus anzupassen, bleibt das ganze Leben lang bestehen, obwohl dieser gegenseitige Austausch zwischen dem Einzelnen und der Umwelt meistens unterhalb der Bewuβtseinschwelle bleibt. Mehr oder weniger versucht ein jeder, sich gegen den Aufprall von gewissen Vibrationen oder anderweitiger unerwünschter Information abzuschotten. Aber so sehr wir uns auch bemühen, uns davor zu schützen, registriert unser System es und reagiert darauf, indem es reaktive Verhaltensweisen entwickelt bzw. Symptome, die zu Krankheiten werden können.

Stellen Sie sich ein wenige Monate altes Kind vor in den Armen seiner Versorger. Das Empfindungsvermögen dieses jungen Wesens ist überaus fein, aber es verfügt noch nicht über Strukturen, die es befähigen, eigene Empfindungen von denen zu unterscheiden, die es in den Menschen, mit denen es in Kontakt kommt, wahrnimmt. Das Kind ist in seine Umwelt eingebunden und auf die emotionalen Tonalität, die dort herrscht, eingestellt. Es fühlt alles im eigenen Körper, auch das, was die Versorger sich bemühen, nicht zu fühlen, ohne jedoch die Möglichkeit zu haben, es zu verarbeiten.

Terror, Ekel, Wehrlosigkeit und Machtlosigkeit

Eine Mutter sprach nie darüber, was sie in der Nacht des Bombenhagels, der weite Bereiche ihrer Heimatstadt vollständig zerstört hatte, und in den Wochen danach gefühlt, gesehen und gerochen hatte. Sie verwendete einen groβen Teil ihrer Energie darauf, den Raum in ihrem Körper so eng wie möglich zu machen, um den Empfindungen, die dort abliefen, keinen Platz zu lassen. So konnte sie die Erlebnisse jener Nacht und jener Wochen nie verarbeiten. Die Mutter brauchte als Erwachsene ihr Leben lang Beruhigungsmittel, war nie ganz gesund und starb vorzeitig. Ihr Sohn entwickelte das selbe Muster wie die Mutter, und machte seinen Körper eng, um der Empfindung von etwas, was er selbst nach Jahren von Psychotherapie nicht genau erkennen konnte, keinen Raum zu geben. Er wuβte nur, daβ es ihn zu Tode erschreckte, er sich davor ekelte und sich wehrlos und machtlos fühlte. Jahre lang hat er Drogen benutzt, um diese Gefühle zu betäuben und war davon abhängig geworden. Eines Tages wurde ihm klar, daβ er durch eine Überdosis oder eine ernsthafte Krankeit umkommen würde, wenn es nichts unternähme, um sich zu befreien von dem Einfluβ von etwas, was wie eine Art von Kraftfeld auf ihn wirkte.

Im Nachhinein scheint die Ähnlichkeit der Symptome der Mutter und dem selbstzerstörerischem Verhalten des Sohnes offensichtlich. Aber bis der Sohn soweit war, seinen Blick auf die traumatischen Umstände des Lebens seiner Familie richten konnte, vergingen Jahre seit dem Moment, in dem er begann, Hilfe zu suchen. Da war eine Art Mauer, die es verhinderte, daβ er in diese Richtung schauen konnte, beinahe wie ein stillschweigendes Verbot. Es fiel ihm einfach nie ein.

Seine Gesundheit wurde immer besser im Laufe der Jahre, in denen er erforschte, wie er seine Erfahrung im Körper organisiert hatte. Sein Empfindungsvermögen wurde präziser. Die selbstzerstörerischen Muster verloren ihre Macht über sein Leben. Aber die hartnäckigsten Symptome lieβen erst nach, als er begann eins und eins zusammenzuzählen und die Wurzeln seines eigenen Empfindens in dem Krieg und der Diktatur, die das Leben seiner Eltern und Groβeltern bestimmt hatten, zu erkennen. Lektüren, Spiel- und Dokumentarfilme halfen ihm, sich vorzustellen, was seine Mutter gefühlt, gesehen und gerochen haben mag während des Bombenhagels und in den darauf folgenden Wochen. Der generationsübergreifende  kollektive Kontext half ihm, die Aspekte seines eigenen Verhaltens und Empfindens zu verstehen, die er durch die Drogen versucht hatte auszulöschen. 

Es war wichtig für ihn zu erkennen, daβ er nicht nur ein Opfer der Umstände war, sondern es auch in seiner Hand war zu handeln. Was er tut oder nicht tut, zählt nicht nur für ihn sondern auch für die Allgemeinheit. Es gibt Dinge, die auβerhalb seiner Reichweite sind, aber anderes kann er ändern; und wenn er will, daβ es sich ändert, muβ er die Ärmel aufkrempeln und die Sachen angehen. Wenn er es nicht tut, tragen diese Dinge dazu bei, Situationen zu schaffen, die anfällig für eine Wiederholung des Traumas sind. 

Scham

Ein Groβvater, der in einer Waffenfabrik gearbeitet hatte, sprach nie darüber. Er hatte Frau und Sohn, und an seinem Heimatsort gab es kaum alternative Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen. Er besaβ kein Haus und keinen Garten, so wie ein ehemaliger Kollege, der gekündigt hatte, weil er den inneren Konflikt nicht ertrug, seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung von etwas zu verdienen, das der Zerstörung des Lebens seiner Zeitgenossen diente. Er und seine Familie waren arm, aber sie brauchten keine Miete zu zahlen, konnten Gemüse und Obst anbauen und hatten auch ein paar Tiere, insgesamt genug, um zu überleben. Dieser Mann sprach darüber, wie traumatisch es für ihn gewesen war, in der Waffenfabrik zu arbeiten. Er konnte seine Erfahrung verarbeiten und lebte gesund bis ins hohe Alter. Er war einer der letzten gewesen, die die Arbeit in der Fabrik aufgeben konnten, denn kurz danach drohte jedem, der sich weigerte, dort zu arbeiten, ein Kriegsgericht und Todesurteil.

Der Groβvater sah sich also gezwungen, den Unterhalt seiner Familie in der Waffenfabrik zu verdienen, aber seine Seele hielt das nicht aus. Auch noch lange nach Ende des Krieges, als es die Fabrik schon gar nicht mehr gab, versuchte er, seinen seelischen Druck durch Sex, Glücksspiele und den Kauf von Luxusartikeln auf Kredit zu erleichtern und machte Schulden, die er seinem Sohn vermachte. In gewissen Abständen versank er in der Finsternis der Depression und wollte nur sterben vor Scham und Machtlosikeit.

Der Enkelin hatte von all dem niemand etwas erzählt, doch sie folgte ihrem Groβvater mit einem bipolaren Muster, promiskuösem Verhalten, einer Arbeit, die die Umwelt verschmutzt und soziale Ungerechtigkeit fördert, und Drogenmiβbrauch, bis ihr klar wurde, daβ sie eine Reihe von Dingen ändern müβte, wenn sie zufrieden mit ihrem Leben sein wollte. Allmählich gelang es ihr, ein Thema nach dem anderen in Ordnung zu bringen, aber sie hatte einen Knoten im Magen, der sich in all den Jahren nicht bewegte. Er öffnete sich erst, als sie zufällig entdeckte, daβ der Groβvater in jener Fabrik gearbeitet hatte. Sie hatte Photos, auf denen man sehen konnte, daβ auch ihr Groβvater einen Knoten im Magen hatte genau wie sie. Wahrscheinlich hatte der dafür gesorgt, unerwünschte Gefühle aus dem Bewuβtsein fern zu halten. 

Als sich der Knoten in ihrem Magen öffnete, begann die Enkelin unter vielerlei anderen Dingen zu spüren, wie die Fesseln der Scham und der Verpflichtungen, die sie nicht erfüllen konnte, zu einer Verbindung zu ihrer Familie wurden, durch die die Liebe auch noch über den Tod hinaus flieβen kann. Als sie es dann versuchte, sich vorzustellen, was ihr Groβvater gefühlt haben mag, während er in der Waffenfabrik arbeitete, erkannte sie schreckliche Empfindungen, gegen die sie sich von klein auf an bemüht hatte zu kämpfen, vergebens, denn sie tauchten in Momenten der Schwäche immer wieder auf. Im Hintergrund ihres Empfindens waren sie ständig gegenwärtig. Sie fühlte sich ganz einfach nur schlecht und, da die Empfindungen in ihrem Körper stattfanden, hatte sie begonnen zu glauben, daβ sie ihr inneres Wesen wiederspiegeln. Sie hat sich immer ordentlich angestrengt, um gut zu sein, hat das aber nie geschafft. Ständig war da das Gefühl, nicht gut genug zu sein, irgend wie mangelhaft oder ganz einfach schlecht. Als sie die schlimmen Empfindungen in dem Zusammenhang verstand, in dem sie entstanden sein mögen, lösten sie sich von ganz alleine. Wenn die Botschaft angenommen und berücksichtigt wird, kann der Bote ruhen. 

Das Muster, das die Enkelin entwickelt hat, um sich gegen die schlechten Gefühle zu schützen, besteht weiterhin und manchmal, unter gewissen Umständen, taucht auch der Knoten im Magen wieder auf. Jedoch hat er nie wieder die Macht gehabt, ihr Verhalten und ihre Gefühle zu bestimmen. Er ist jetzt zu einer Art von Wächter geworden, der die Erwachsene Frau darauf aufmerksam macht, wenn es notwendig ist, aufmerksam zu sein, um nicht in den Teufelskreis des Traumas zu fallen und die Lernspirale auf ein höheres Niveau zu bringen. 
   

Unbewuβte Schuld

Ein Vater hatte eine Führungsposition in einem totalitären Regime. Er hatte die Hinrichtung einer ganzen Reihe von andersdenkenden Menschen befohlen und zahlreiche Familien zerstört. Er war von der Legitimität seiner Handlungen überzeugt in Ausübung der Erfordernisse seiner Position. Seine physische Erscheinung war gekennzeichnet von einer Haltung ständiger Wachsamkeit  gegenüber einer feindseligen Umgebung. Seine Tochter war sein Augenstern. Sie tat alles erdenkliche, um ihrem Papi zu gefallen, doch so sehr sie sich auch bemühte, hatte sie stets das Gefühl es sei nicht genug. Die Liebe des Vaters erfüllte weder sein eigenes Herz, noch kam sie beim Herzen der Tochter an. Schuld wegen der Vernichtung all jener Leben und Familien fühlte er schon gar nicht. 

Ganz allgemein fühlte er nur wenig. Sich selbst zu fühlen, war ihm unerträglich. Daher sah er all das, was er in seinem Inneren nicht fühlen konnte in anderen Menschen. Seine Schuld verdeckte sein inneres Licht. Wenn man etwas vor ein Licht stellt, dann projiziert das Licht einen Schatten, der die Umrisse der Sache mehr oder weniger präzis und mehr oder weniger verzerrt sichtbar macht. Der Schatten fällt auf das Umfeld und kann, je nachdem, riesige Ausmaβe annehmen. Der Vater fühlte eine ständig wachsende Bedrohung, so daβ auch seine Abwehr immer aufwendiger wurde. Je mehr Aufwand er betrieb, um so gröβer wurde der Schatten seiner Schuld, um so mehr wuchs die Bedrohung und sein Gefühl, sich verteidigen zu müssen. 

Als er starb, verfangen in einem Netz von Intrigen und Lügen, das er selbst gewebt hatte, konnte er vielleicht einen Augenblick lang seine Schuld sehen, aber da war es zu spät. Da gab es nichts mehr, was er noch hätte tun können. Seine Tochter, sein Augenstern, war schon seit langem zur Trägerin der Schuld geworden, der er sich nie gestellt hatte. Auch sie spinnt weiterhin ein Netz von Intrigen und Lügen, um die Menschen zu verfolgen, auf die sie den Schatten der Schuld projiziert, die jetzt ihre ist, genau wie es vorher ihr Vater tat. Wenn sie es nicht rechtzeitig erkennt und ihren Kurs ändert, wird sie genau wie er erst im Sterbebett bemerken, daβ sie ihren Kindern ein Erbe der Schuld hinterläβt, das sie nicht verweigern können.  

Der posttraumatische Streβ, der wohl am schwersten zu erkennen und zu verarbeiten ist, ist der aus unbewuβter Schuld entstandene. Unbewuβte Schuld ist etwas ganz anderes als neurotische Schuldgefühle. Jemand, der eine Schuld hat, derer es sich nicht bewuβt ist, fühlt sich nicht schuldig. Solche Menschen haben keine Schuldgefühle, weder vage noch konkret. Sie fühlen sich voll im Recht und sind beleidigt, wenn jemand andeutet, sie könnten Schuld an etwas sein. Sie fühlen sich bedroht, nicht weil sie befürchten, jemand könnte ihre Schuld entdecken, sondern weil aus ihrer Sicht diejenigen, auf die sie ihre Schuld projizieren, sie angreifen.

Natürlich haben die Kinder und Enkel keine Schuld dafür, was ihre Eltern und Groβeltern getan bzw. nicht getan haben. Aber wenn eine Schuld nicht erkannt wird, wächst sie, auch wenn der Mensch, der die Schuld durch seine Taten erworben hat, stirbt. Selbst wenn die Handlungen in Erfüllung gültiger Gesetze erfolgen, wenn sie die grundlegenden Rechte der Lebewesen brechen, entsteht eine Schuld. Damit eine Schuld getilgt werden kann, ist es erforderlich, daβ man sie gesteht und Schritte unternimmt werden, um die entstandenen Schäden soweit möglich zu beheben. Zumindest muβ man hinschauen und versuchen zu verstehen, was geschah, um weitere Schäden zu vermeiden.

Aus diesem Grund stellt zum Beispiel das Amnestiegesetz, das im Oktober 1977 in Spanien in Kraft trat, ganz im Gegensatz zu seinem wohl beabsichtigten Vorsatz eine Bedrohung für die Volksgesundheit dar. Es wurde mit einer groβen Mehrheit verabschiedet, denn verständlicherweise wollten viele Leute lieber nach vorne schauen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Die Existenz der Erscheinung, die man heute posttraumatischen Streβ nennt, wurde in den USA gerade erst erkannt aufgrund der Schwierigkeiten so vieler Veteranen des Vietnamkrieges. Dank des Amnestiegesetzes von 1977 wurden unzählige Verbrechen gegen die Menschheit zu den Akten gelegt, ohne überhaupt untersucht zu werden. Untersuchungen wären erforderlich gewesen, nicht nur um eine wirklich Amnistie zu ermöglichen, sondern auch um den Opfern, den Tätern und den Augenzeugen die Möglichkeit zu geben, den posttraumatischen Streβ infolge der Gewalt jener Taten verarbeiten und ihr inneres Gleichgewicht wiederherstellen zu können, sowohl im Leben der einzelnen wie auch immer Betroffenen als auch im öffentlichen Leben der Gesellschaft insgesamt.

Die Gerichtsverhandlungen für Frieden und Versöhnung, die in den 90er Jahren in Südafrika stattfanden, schufen die Gelegenheit, sich den durch das Apartheid-Regime entstandenen Traumata zu stellen. Obwohl es keine Strafen gab, leisteten sie einen Beitrag zur Wiederherstellung des individuellen und kollektiven inneren Gleichgewichts. Zwar was er nicht genug [Kimbles, 2000], aber immerhin ein Anfang. Es gibt kein Gesetz, das eine Schuld verschwinden läβt, weder wenn die Taten in Erfüllung des Gesetzes geschahen, noch wenn es darauf abzielt, sie zu verbergen. Der Organismus und die Psyche der Schuldigen werden die Schuld auf die eine oder andere Art sichtbar machen. Wenn es einem Schuldigen gelingt seine Schuld vor sich selbst und vor der ganzen Welt zu verbergen, dann wird ein meist schwächerer ihm Nahstehender sich auf die verborgenen Formen der Schuld einstellen, sei es sein Lebenspartner, seine Kinder, Enkel oder Urenkel. Entweder wiederholen sie unbewuβt die Tat, um die Schuld direkt sichtbar zu machen, oder sie erleiden die Symptome, die auf die unsprüngliche Schuld hinweisen.

Das besorgniserregende Wiederaufleben der Rechtsradikalität in sovielen Ländern der Welt ist zweifelslos darauf zurückzuführen, daβ es doch sehr schwierig ist, posttraumatischen Streβ zur erkennen, den eigenen und den ererbten, ihn zu verarbeiten und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Gewalttätigkeit der Kriege und totalitären Regime ist so extrem, daβ es für viele Menschen weiterhin lebenswichtig zu sein scheint, all ihre Energie darauf zu verwenden, nach vorne zu schauen und zu versuchen, den Horror hinter sich zu lassen. Zuviele Menschen fühlen das Bedürfnis, die Gewalttätigkeit fortzusetzen, um Überhand zu gewinnen über diejenigen, die sie für ihre Feinde halten, denn sie wissen nicht, daβ alle Teile der Welt mit einander verwoben  und von einander abhängig und in diesem Sinne auf allen Gröβenordnungen genau gleich sind. Für viele ist die zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts nötige innere Arbeit unerträglich oder, zumindest erst einmal undenkbar, denn ohne es zu wissen, sind sie gefangen in dem Teufelskreis des Traumas.

Das innere Gleichgewicht wiederherstellen

Um das innere Gleichgewicht im eigenen Leben wiederherzustellen und einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben aller zu leisten, sollten diejenigen von uns, die dazu in der Lage sind, uns an die Arbeit machen, um die Spuren des Traumas unserer Eltern und Groβeltern im eigenen  Körper und Verhalten und auch im öffentlichen Leben zu erkennen. Nur so werden wir die Freiheit haben, unsere Energie je nach Bedarf einzusetzen, ohne jemandem zu schaden. Der Teufelskreis des Traumas kann zu einer Lernspirale werden, wenn wir spüren, wie sehr bestimmte Verhaltensweisen uns selbst oder auch anderen schaden, auch wenn wir voll und ganz daran gewöhnt sind. Ein solches Empfindungsvermögen zu entwickeln ist Arbeit, und die ist nicht leicht. Aber wenn wir sie nicht tun, verpassen wir die Gelegenheit, voll und ganz an der Gesamtheit der schöpferischen Abläufe des Lebens teilzunehmen.

Es müβten Forschungsgelder abgestellt werden, um angemessene Betreuungsprogramme im Erziehungs- und Gesundheitswesen entwickeln zu können. Um Zugang zu einer Führungsposition zu gewinnen, müβte es eine unabdingliche Anforderung sein, die Strukturen des eigenen Körpers und der eigenen Psyche und deren Verhältnis zur Umwelt zu kennen. Das heiβt auch, sich der Spuren des durch die Kriege und Diktaturen der letzten Jahrhunderte entstandenen posttraumatischen Streβes bewuβt zu sein und es gelernt zu haben, ihn zu verarbeiten und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen.

Wir brauchen Zeit, um die durch das Trauma entstandene innere Erregung zu beruhigen, um uns zu orientieren und es zu lernen zu unterscheiden, was wirklich unsere eigene Erfahrung ist, und was zu der Erfahrung unserer Vorgänger gehört. Das Abbauen der Energie- und Hormonladung kann Zittern, Weinen, Bilder der Geschehnisse, Schütteln usw. mit sich bringen. Um diese Erscheinungen ertragen zu können, ohne sich davon mitreiβen zu lassen, ist es notwendig, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem es möglich ist, sie mit der Perspektive des Zusammenhangs, in dem sie ihren Ursprung in vorangegangenen Generation hatten, zu beobachten und zu verstehen. Wir brauchen Zeit, um das Geschehene nachvollziehen zu können, um zu verstehen, was passiert ist, was unsere Vorfahren getan haben, wie es sich auf ihr Leben ausgewirkt hat, was all dies bedeutet und wie es sich auf uns ausgewirkt hat. All das gehört zu dem Prozess der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts dazu.

Ein überaus nützliches Werkzeug in diesem Prozess, welches jedem jederzeit zugänglich ist, ist das Körperbewuβtsein und das Bewuβtsein der Atembewegungen. Zum einen kann uns die Bewegung des Ausatmens dabei helfen, unsere Aufmerksamkeit nach innen und zum Boden hin zu orientieren. So können wir das Verhältnis wahrnehmen zwischen unserem inneren Wesen und dem Fuβboden, unserer Unterstützungsgrundlage in der natürlichen Welt, zu der wir gehören. Wenn die Bewegung des Einatmens dann an diesem Ort tief in unserem Innern beginnt, während wir dies Verhältnis zwischen Körper und Boden spüren, können wir auch bewuβt beobachten, wie der Raum im Innern des Körpers sich ausdehnt, wenn die Luft einströmt, die aus dem Raum um den Körper herum kommt. So können wir spüren, wie wir nahtlos in unsere Umgebung eingebunden sind.

Es ist eine Frage der Übung, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, diese Bewegungen zuzulassen. Es kommt darauf an, sich Zeit zu lassen, damit sie geschehen können, ohne sich darauf zu versteifen, sie zu erzwingen, aber auch ohne in die Gewohnheit zu verfallen, nicht mehr als unbedingt nötig ein- und auszuatmen, weil man sich nicht traut, den unangenehmen Empfindungen zu begegnen, die die Gewohnheitsmuster unterhalb der Bewuβtseinsschwelle halten. Denn diese kommen bei einer solchen Atmung unweigerlich zum Vorschein. Doch kann man die emotionale Ladung und das Schwere dieser Empfindungen beim Ausatmen an den Boden abgeben und das Übermaβ an emotionaler Heftigkeit mit der Luft hinausflieβen lassen. Dann können Mutter Erde, Vater Himmel und die Gemeinschaft aller Lebensformen uns dabei helfen, mit dem fertig zu werden, was ja letztlich über unsere Kräfte und auch über unseren Zuständigkeitsbereich hinausgeht. 

So sind wir dann Atemzug für Atemzug gegenwärtig und in Beziehung mit unserer Umwelt, sowohl auf der Ebene der Materie  als auch auf der Ebene der Potentialität des offenen Raums. So können wir den Kurs unseres Handelns bestimmen und das Ruder in der Richtung unserer Wahl halten und dabei lernen aus unserer eigenen Erfahrung, von unseren Zeitgenossen und von denen, die vor uns hier waren. Und wir können uns selbst und anderen helfen, die schlimmen Empfindungen, die uns im Teufelskreis des generationsübergreifenden Traumas gefangen halten von dem zu unterscheiden, was jetzt wirklich war ist.

Kollektive Rituale und Feierlichkeiten

Neben der persönlichen Arbeit eines jeden Einzelnen, können Rituale und Feierlichkeiten groβer Gruppierungen von Menschen einen wichtigen Beitrag zur Fähigkeit leisten, die durch Kriege, totalitäre Regime, Terroranschläge und Naturkatastrophen hervorgerufenenen Traumata zu regulieren, sowohl auf der Ebene einzelner Bürger, als auch auf gesellschaftlicher Ebene in den verschiedenen Ländern der Welt und der Menschheit insgesamt. 
Der katalanische Gedenktag zum 11. September ist ein hervorragendes Beispiel einer Feierlichkeit, die der Bevölkerung des Landes dabei hilft, das Trauma der Belagerung und des Völkermords zu verarbeiten, auf die dieses Datum hinweist. Die Teilnahme von Jahr zu Jahr immer mehr Leuten an einer friedlichen millionenstarken Kundgebung legen wachsenden Zusammenhalt und Reife der Gesellschaft zu Tage. Wenn das spanische Königreich die Gelegenheit ergreifen würde, sich der gegenwärtigen und im Laufe der Jahrhunderte erworbenen Schuld zu stellen, um Verzeihung zu bitten und Schritte zu unternehmen, um die entstandenen Schäden zu reparieren, anstatt auf ihrer selbstgerechten Haltung zu beharren, auf alle Kosten durchzusetzen, was sie für ihr Recht halten, dann würden sich sicherlich Wege eröffnen, die es ermöglichen würde, Lösungen zu finden für die zahlreichen Probleme, die die spanische Bevölkerung heimsuchen, über die katalanische Frage hinaus; und dann könnte der Teufelskreis des Traumas zu einer Lernspirale werden.


Teil 2: 1. Oktober



Auch wenn Trauma uns sprachlos macht, ist der Weg hinaus mit Worten gepflastert, die sorgfältig Stück für Stück zusammengefügt werden, bis die ganze Geschichte offenbart werden kann. [van der Kolk, 2014]

Worte, die die Wahrheit aufdecken, sind heilsam

Worte können heilsam sein, aber sie können auch verletzen. Worte können die Wahrheit aufdecken, und sie können sie auch verhüllen. Nur Worte, die Wahrheit offenbaren, vermögen Traumata zu heilen und die Verbindung zum eigenen Wesen und zu anderen, die durch die Abwehrreaktion gegen das Trauma unterbrochen wurde, wieder herzustellen. Falschheit trennt. Wer die Wahrheit verhüllt ist unfähig, jenseits der Unwahrheit bedeutsame Beziehungen zu anderen Menschen aufrecht zu erhalten.

Nicht nur wer die Wahrheit bewuβt verhüllt, um durch Lügen irgend welche Vorteile zu erlangen, sondert sich von anderen ab und bleibt alleine, sondern auch wer es tut, ohne es zu merken, weil zu einem gewissen Zeitpunkt in seinem Leben die Wirklichkeit unerträglich war und sein System sie automatisch hinter einer Mauer aus Anspannung verborgen hat, um die physische und psychische Unversehrtheit zu wahren und überleben zu können. Dieser Mensch verliert den Kontakt zu sich selbst, ist gefangen in der Abwehrreaktion gegen die traumatische Belastung und von seiner Umgebung abgespaltet. Das innere Gleichgewicht wird wiederhergestellt, wenn er erkennt, was wahr ist in Bezug auf das, was geschah, was er tat oder nicht tat, und gegebenenfalls Schritte unternimmt oder Bewegungen zuläβt, die das Trauma zu einem Abschluβ bringen können. 

Ohne dieses Gleichgewicht gewöhnen wir uns an ein Leben an der Oberfläche, ohne Tiefgang. Was wir durch den Filter der Abwehrreaktion gegen das Trauma sehen und fühlen, scheint wirklich zu sein. Wir bemühen uns, die ständige Unzufriedenheit, die aus dem Fehlen bedeutsamer Beziehungen entsteht, auf vielerlei Art zu kompensieren, meist durch Suchtverhalten, entweder Abhängigkeit von Substanzen, wie zum Beispiel legale oder illegale Drogen, Medikamente, Alkohol, Tabak, Essen, Zucker, Streβhormone, oder von Prozessen und Aktivitäten wie Arbeit, Sport, Sex, Kontrolle, Einkäufe, Machtausübung, Fernsehen, usw. Wir wollen nichts fühlen, weil es uns in Angst und Schrecken versetzt, die Empfindungen der inneren Leere, des Fehlens tiefer Verbundenheit zu spüren. Bilder und Erinnerungen von Erlebnissen, die wir nicht klar in Erinnerungen bringen aber auch nicht vergessen können, tauchen auf, wenn wir uns entspannen, und scheinen uns zu überwältigen. Auch Gewaltanwendung ist eine Reaktion auf Trauma und bringt Ohnmacht zum Ausdruck und die Unfähigkeit, bedeutsame Beziehungen zu sich selbst und zur Umgebung aufzubauen.

Mit dem traumatischen Erlebnis zusammenhängende Empfindungen werden aus dem Wahrnehmungsfeld ausgesondert und in einem möglichst engen Bereich im Körper zusammengepresst. Die Muskelspannung hält sie auβerhalb unserer bewuβten Wahrnehmung, nimmt die Form eines Spannungmusters an und wird so zu einem automatischen, unbewuβten Mechanismus. Auf diese Art und Weise kommen wir im Leben voran und können sogar ein scheinbar erfolgreiches Leben entwicklen, wenn auch im Innern stets das Gefühl vorherrscht, daβ es doch nicht genug ist. Soviel Reichtum und Erfolg wir auch anhäufen, trotzdem fehlt immer noch etwas. Was fehlt, ist die Befriedigung einer tiefen Verbundenheit mit dem Leben.

Ein traumatisierter Mensch ist höchst empfindlich für Reize, die zunächst harmlos und unbedeutend scheinen mögen. Ein Geruch, ein Blick, eine Geste, ein Wort kann genug sein, um die Abwehrreaktion auszulösen, die es ermöglicht hat ein traumatisches Ereignis zu überleben. Dann ergreifen die automatischen Mechanismen der Abwehrreaktion Besitz von dieser Person, sie ist wie besessen. Die Empfindungen brechen aus dem engen Bereich aus, in dem sie unterhalb der Bewusstseinschwelle zusammengepreβt waren, und überfluten den Menschen; der verliert die Kontrolle nicht nur darüber, was er tut, sondern auf darüber, was er denkt, sieht und fühlt. Er kann die Wirklichkeit des gegenwärtigen Moments nicht mehr wahrnehmen und den Kontakt mit der Umgebung, den er an der Oberfläche trotz der fehlenden tiefen Verbundenheit zustande gebracht hat, nicht mehr aufrecht erhalten. Die Dynamik, die sich ingang setzt, versetzt diesen Menschen direkt in die Situation, die ihn traumatisiert hat, einen Augenblick vor dem schlimmsten Moment des Geschehens. 

Die richtigen Worte finden

Das gesamte System des traumatisierten Menschen ist auf Handlung ausgerichtet, auch in Zeiten relativer Ruhe. Obwohl er höchst empfindlich ist, ist seine Sinneswahrnehmung nicht sehr entwickelt und beschränkt sich hauptsächlich auf die Unterscheidung zwischen gut und schlecht, angenehm unangenehm, wünschenswert lästig. Unterscheidungsvermögen und Urteilsfähigkeit bleiben auf diesem primitiven Niveau, das Abwehrmechanismen gegenüber lästiger Empfindungen ingang setzt und ihnen den Zugang zu den höher entwickelten Ebenen der Analyse und des Verstandes versperrt. Somit ist es nicht möglich, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen, und der Mensch bleibt im Teufelskreis des Traumas stecken.

Um den Weg hinaus zu finden ist es daher in erster Linie unabdingbar, die Sinneswahrnehmung zu schulen. Die Informationen, die durch die verschiedenen Sinneskanäle in den Organismus einströmen sind enorm vielfätig und komplex. Es ist unmöglich, alles bewuβt wahrzunehmen; und das ist auch gar nicht notwendig. Ein kleiner zentraler Bereich an der Basis unseres Gehirns macht eine Vorauswahl der Dinge, die zu einem gewissen Zeitpunkt eine gröβere Bedeutung in unserem Leben haben. So geschieht es, zum Beispiel, daβ, wenn der Lebenspartner einen Arm gebrochen hat, man auf einmal ganz viele Leute mit einem Arm im Gipsverband sieht. Aber auβer dieser Vorauswahl konkreter Daten wird die Gesamtheit der durch die Sinne einströmenden Informationen ständig in eine Art Bildersprache übersetzt, die durch Träume, Phantasien und Tagträumereien über die Bewustseinsschwelle treten können. Diese Bilder bringen Aspekte der bewuβten Erfahrung, des persönlichen Unbewuβten und des kollektiven Unbewuβten zum Ausdruck. Man kann sie nahezu wörtlich übersetzen und so Information enthüllen, die die Aufmerksamkeint dorthin lenken kann, wo sie nötig ist. [Kaufman, 2009]

Auch die Gestalten, die sich aus dem Verhältnis zwischen Körper, Boden und Umgebung und den verschiedenen Eigenschaften der Atembewegungen ergeben, eröffnen einen Zugang zum Bildbestand dieser malerischen Sprache. An sich stellen diese Verhältnisse und Bewegungen Bilder dar. In dem objektiven Bezugsrahmen der Koordinaten des Schwerkraftfeldes, der Waagerechten und der Senkrechten, wird sichtbar, wenn jemand zum Beispiel sein Herz von dem, was vor ihm ist, zurückzieht, und dabei mit dem Kopf nach vorne geht und vielleicht sogar mit den Augen sich so sehr bemüht, das zu erreichen, was vor ihm liegt, daβ sie beinahe aus ihren Höhlen hervortreten. Dieser Mensch distanziert sich gefühlsmäβig von seiner Umgebung und fühlt sich zu dem hingezogen, was hinter ihm liegt (die Vergangenheit). In dieser Haltung lastet ein groβes Gewicht auf seinem Herzen, das es bedrückt und in seiner Bewegunsfreiheit einschränkt. Mit den Augen geht er nach vorne, um das zu erreichen, was er dort sieht, obwohl das gröβte Segment seines Körpers sich in die entgegengesetzte Richtung  bewegt. Kopf und Herz sind im Konflikt und der Bauch steht  unter Spannung. Was diese Person empfindet unterscheidet sich stark von dem, was jemand fühlt, dessen Herz und Beine an der Mittelachse ausgerichtet sind, so daβ sie die nötigen Schritte ausführen können, um ihn zu dem, was vor ihm liegt, hinzutragen. Wenn Herz und Beine gemeinsam mit dem Kopf an der Mittellinie ausgerichtet sind, gehen Kopf, Herz und Bauch als eins voran. Dann können die Augen in ihren Höhlen ruhen, die Bilder von dem, was vor ihnen liegt, in Empfang nehmen und sie an die verschiedenen am Entscheidungsprozess beteiligten Zentren weiterleiten, in einem reibungslosen Informationsfluβ zwischen der groβen Zentrale des emotionalen Fühlens, der groβen Zentrale der lebensunterhaltenden Versorgung und der groβen Zentrale der gesamten Datenverarbeitung. Je nachdem wie jemand sich im Verhältnis zu den Koordinaten der Schwerkraft hält, hat er gerade mal genug Raum in seinem Körper, um das absolute Minimum an Luft, das er zum Überleben braucht, zu atmen, oder aber er kann frei atmen und in aller Ruhe reichlich aus der Fülle der in seiner Umgebung verfügbaren Energie schöpfen. Der erste ist ständig erschöpft, fühlt sich von den Anforderungen des Lebens überfordert und ist unzufrieden, weil er seine Bedürfnisse nicht abdecken kann; der zweite ist auf allen Ebenen mit seiner Umgebung in Beziehung, er findet, was er braucht, und genieβt es, das, was ihm ein reichhaltiges und interessantes Leben ermöglicht, als Beitrag in die Gesamtheit einzubringen.

Wenn man es lernt, die verschiedenen Arten von Bildern zu beobachten, bringen sie alles, was verarbeitet werden muβ, zum Vorschein, damit man das, was für das System von Nutzen ist, assimilieren kann und das, was nicht brauchbar oder schädlich ist, ausscheiden kann, um ein optimales Verhältnis zur Umwelt herzustellen. Der Arzt und Psychologe Peter A. Levine gibt das Beispiel zweier Leopardenwelpen, die dem Angriff einer Löwin entkommen waren. Im Spiel wiederholten sie tagelang die selben Bewegungsabläufe, die es ihnen ermöglicht hatten, unversehrt der Gefahr zu entkommen. Zum einen übten sie so die Bewegunsabläufe und perfektionierten sie, und zum anderen bauten sie dabei die Streβhormone und Energieladungen ab, die durch die Angst bei der Flucht freigesetzt worden waren. (Levine, 1999). So steht ihnen dieser Bewegungsablauf, der sie einmal aus der Notlage befreit hat, zur Verfügung, wenn sie ihn benötigen. Ansonsten hat er auf ihr tägliches Leben keinen weiteren Einfluβ.

Auch der Psychiater Bessel van der Kolk weist darauf hin, wie wichtig es ist, nicht nur die traumatischen Erinnerungen zu integrieren, sondern auch die Abwehrmechanismen, die wir entwickelt haben, zu erkennen.
... eine zentrale Aufgabe bei der Genesung nach einem Trauma besteht darin, es zu lernen mit den Erinnerungen der Vergangenheit zu leben, ohne von ihnen in der Gegenwart überwältigt zu werden. Aber die meisten Überlebenden, auch diejenigen, die voll funktionsfähig sind –oder sogar Hervorragendes leisten-, müssen in einigen Aspekten ihres Lebens noch einer anderen, sogar noch gröβeren Anforderung gerecht werden: sie müssen ein System neu gestalten, das ihr Denken und Handeln organisiert hatte, um mit dem Schlimmsten fertigzuwerden. Genau wie wir die traumatischen Erinnerungen in Augenschein nehmen müssen, um sie integrieren zu können, müssen wir auch die Teile unserer selbst inspizieren, die die Abwehrmechanismen entwickelt haben, die uns geholfen haben zu überleben. [van der Kolk, 2014]

Besondere Kalendertage

Kollektive Traumata, wie die aus Naturkatastrophen, Terroranschlägen, Kriegen und totalitären Regimes entstandenen, wirken sich nicht nur im individuellen Leben der einzelnen Menschen aus sondern auch in der Gesellschaft insgesamt. Die Worte, die entstandene Wunden zu heilen vermögen, unterscheiden sich von Person zu Person. Aber es gibt niemanden, der nicht von der Belastung der traumatischen Erlebnisse betroffen ist und sie auf die eine oder andere Art verarbeiten muβ. Kollektive Veranstaltungen können eine Gelegenheit darstellen, die traumatischen Erinnerungen und die Abwehrmechanismen, die es einem ermöglicht haben zu überleben, in Augenschein zu nehmen. Diese Art von Veranstaltungen erfüllen eine wichtige Funktion in der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts nicht nur der einzelnen Opfer, Täter und Augenzeugen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt, so daβ Grundlagen geschaffen werden, die das Zusammenleben der Bevölkerung verbessern und einen gröβeren Zusammenhalt der Gesellschaft ermöglichen.  

Die Wahl des Datum des Referendums für die Selbstbestimmung des Katalonischen Volkes am 1. Oktober war hervorragend dafür geeignet, eine Gelegenheit zu schaffen, um das innere Gleichgewicht nach einem langanhaltenden traumatischen Zustand wiederherzustellen. An einem 1. Oktober einundachtzig Jahre zuvor wurde der oberste Befehlshaber der Rebellen gegen die demokratische spanische Republik zum Staatsoberhaupt erhoben, nachdem es ihm wenige Monate nach dem Scheitern eines Staatsstreich unter der Leitung einer Militärjunta durch die militärische Hilfe der totalitären Regime von Deutschland und Italien gelungen war, einen Teil Spaniens zu erobern. Ein besseres Datum für die Ausübung des demokratischen Rechtes im Rahmen des Rechtsstaates, der am 1. Oktober 1936 mit Waffengewalt auβer Kraft gesetzt worden war, gibt es nicht.

Der 1. Oktober 2017 hat eine Bühne eröffnet, auf der sichtbar wird, inwieweit die Gesellschaft Kataloniens und die Gesellschaft Spaniens ihr inneres Gleichgewicht wiederhergestellt haben, nachdem mit dem Tod des Diktators das totalitäre Regime vermeintlich zu Ende gegangen war und die verfassungsrechtliche Ordnung eines Rechtsstaates erneut erschaffen wurde, wenn auch mit vielen Widersprüchen. Auch die Stellung der internationalen Teilnehmer  wurde sichtbar, die Aspekte ihrer eigenen Haltung zu Bewuβtsein brachten, die sie wahrscheinlich lieber verborgen hätten.

Die Integrationsfähigkeit der katalonischen Kultur hat sie lebendig erhalten trotz aller Versuche, sie spanisch zu machen. Schritt für Schritt erledigt die katalonische Gesellschaft die erforderliche Arbeit, um ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen.

Die Schuld der spanischen Monarchie, hingegen, die sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hat und durch die Jahre des Franco-Regimes, die Polizeigewalt am 1. Oktober und die Rede des Köngis am 3. Oktober 2017 und die gerichtliche Verfolgung der katalonischen Regierung noch erneuert und vergröβert wurde, traumatisiert die spanische Gesellschaft. Das Gewicht des Schuld und der Abwehrmechanismen gegen das Eingeständnis der Schuld lastet auf ihr und erdrückt sie. Diejenigen, die sie wahrnehmen, fühlen sich ohnmächtig angesichts der Gewalt derjeneigen, die sie verbergen wollen, und bleiben sprachlos.

Statt ihre Funktion zu erfüllen, das öffentliche Leben zum Wohl der Gesellschaft insgesamt zu regeln, benutzen die Machthaber des spanischen Staates ihre Position dafür, Privilegien auf Kosten der Allgemeinbevölkerung zu erhalten und zu bewahren, wie sie es schon seit Jahrhunderten tun. Statt auf die Stimme des Volkes zu hören, setzen sie ihre Abwehrmechanismen ingang mit polizeilichen und gerichtlichen Gewaltausschreitungen, mit Aufwiegelung der spanischen Bevölkerung gegen Katalonien, mit falscher Berichterstattung in den Medien, mit Hinterlist und Betrügerein, und mit Provokationen, um eine gewalttätige Reaktion der katalonischen Bevölkerung zu bewirken. In einer Nachrichtensendung des spanischen Senders Antena 3 wurden Bilder einer gewalttätigen Demonstration im Parlament der Urkaine gezeigt, während die Sprecherin vom Parlament von Katalonien sprach und Dinge sagte, die nichts mit den tatsächlichen Geschehnissen zu tun hatten.

Wenn die spanische Gesellschaft wahrheitsgemäβe Informationen erhalten würde, wäre sie sicherlich voll und ganz bereit, die Arbeit der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts zu  beginnen. Wohl ist es nicht gerade angenehm, den proportionalen Anteil einer kollektiven Schuld einzugestehen, aber es ist überaus befreiend. Im Schatten des Unbewuβten droht sie mit erschreckenden Dimensionen. Wenn man sie jedoch im Licht des Bewuβtseins betrachtet, bringt sie Ursachen, Bedingungen und Wirkungen zutage, die es ermöglichen, unsere Vorgänger, uns selbst und unsere Mitmenschen zu verstehen, von den Fehlern zu lernen, um sie nicht zu wiederholen, und die entstandenen Schäden, soweit möglich, zu beheben.

Wenn man die Schuld für eine Handlung hat, die man selbst begangen hat, muβ man natürlich die Konsequenzen tragen für das, was man tat, auch wenn man es unter dem unbewuβten Einfluβ eines ererbten Traumas oder einer ererbten Schuld tat. So sehr man sich auch bemüht, eine Schuld zu verleugnen, früher oder später kommt sie zum Vorschein auf die eine oder andere Art. Wer seine Verantwortung nicht übernimmt, hinterläβt sie seinen Nachfahren, mit Zuschlag. Jemand eines Deliktes anzuklagen, das er nicht begangen hat, um der eigenen Verantwortung zu entgehen, ist Delikt. Ein politisches Mandat zu erfüllen, für das man als Regierender vom Volk gewählt wurde, ist kein Delikt. Jemanden an der Ausführung seines Mandates zu hindern ist sehr wohl ein Delikt, ganz besonders, wenn das gewaltsam geschieht.

Die deutsche Regierung hat irgend wann einmal um Verzeihung gebeten für die Auslieferung des Präsidenten Companys an die spanische Polizei und für die Bombardierung von Guernika. Aber ich kann mich nicht erinnern, ein Eingeständnis der Schuld gehört zu haben für die deutsche Hilfe, ohne die die Erhebung des Oberbefehlshaber der Rebellen gegen die demokratische Regierung Spaniens zum Staatsoberhaupt  am 1. Oktober 1936 nicht möglich gewesen wäre. Derjenige, der diese Hilfe geleistet hat, hat sich seiner Verantwortung entzogen, indem er Selbstmord beging, aber alle seine Mitarbeiter sind von internationalen Gerichtshöfen verurteilt worden. Es wird höchste Zeit, daβ Deutschland das spanische Volk um Verzeihung bittet. Dies Eingeständnis würde dabei helfen, die angerichteten Schäden zu beheben und die Erben und Nachfolger der Rebellen gegen die demokratische Ordnung, die gegenwärtig noch immer Machtpositionen in der spanischen Monarchie innehaben, erkenntlich zu machen, damit sie die Schuld, die sie tragen, eingestehen können.

Als Deutsche bin ich Trägerin eines proportionalen Anteils der kollektiven Schuld aller Deutschen, auch wenn ich erst zehn Jahre nach dem Selbstmord jenes Verbrechers zur Welt gekommen bin. Die Narben der Schäden, die er angerichtet hat sind überall sichtbar, genau wie die Schäden, die sein spanischer Gefährte angerichtet hat, der Oberbefehlshaber der Rebellen, der zum Staatsoberhaupt erhoben wurde. Viele dieser Narben sind noch nicht verheilt und müssen behandelt werden.

Ein wichtiger Schritt zur Behandlung vieler dieser Narben wäre es, daβ die Träger der Schuld sie eingestehen, auch wenn sie sie nicht persönlich erworben sondern nur geerbt haben. Aber es ist nicht nötig darauf zu warten, daβ diese Menschen den dafür erforderlichen Mut und die nötige Integrität aufbringen. Auch die Zeugen und Opfer und ihre Erben sind von den Auswirkungen des posttraumatischen Streβes betroffen und müssen ihr inneres Gleichgewicht wieder herstellen. Während wir die nötigen Schritte unternehmen, uns mit dem zu versorgen, was wir brauchen, um zu genesen, kommen wir Schritt für Schritt voran in einem friedlichen Zusammenleben in einer Gesellschaft, die zusammenhält, wo auch die Erben der Täter Wege finden können, auf heilsame Art und Weise an der Gesamtheit teilzunehmen.



Teil 3: 

12. Oktober

Who are the invaders
Wer sind die Eroberer
(Wilson, 1984)

Die Eroberer

Da hat er recht, dachte ich Ende des Sommers 1984, als ich in der offiziellen Veröffentlichung der Mohikanernation, den Akwesasne Notes, las, was Darryl Wilson aus der Pit River Nation über die Eroberer sagte. Was ist los mit uns, fragte ich mich. Was treibt uns dazu, gegeneinander zu kämpfen, Vernichtung zu streuen, zu Krieg und Konflikt, Mord, Vergewaltigung, Plünderung?

Ich begann damit, den Kontinent meines eigenen Körpers zu erforschen, um durch das Studium der Beziehung zwischen Körper, Psyche und Umgebung zu verstehen, wie wir Menschen funktionieren. Was ich bisher entdeckt habe in 34 Jahren persönlicher und professioneller Forschung, in denen ich mich als Praktiker des Duggan/French Approach (DFA) für Somatische Mustererkennung und als archetypische Musteranalytiker ausgebildet habe, bestätigt allerseits, daβ diese Gewalttätigkeit keinesfalls Ausdruck der menschlichen Natur ist, sondern eher auf die Unkenntnis der eigenen Natur und den Konflikt mit ihr zurückzuführen ist. Die Ausübung von Gewalt ist ein Mittel, das uns kurzfristig aus einer Gefahr helfen kann, aber die damit verbundenen Kosten sind so hoch, daβ es auf längere Sicht weder rentabel noch produktiv ist.

Wenn wir verstehen, das Gewalt aus der Unkenntnis der eigenen Natur erwächst und aus einem Konflikt mit dem eigenen inneren Wesen, dann können wir Bedingungen schaffen, die uns dabei helfen, unser inneres Wesen zu erforschen und zu lernen, wie man friedliche und förderliche Beziehungen zu sich selbst und anderen aufbauen und aufrechterhalten kann. Das Leben hat sich bis zum heutigen Grad der Komplexität und Vielfalt entwickelt auf der Grundlage von Affinität und Kooperation. Wir sind das Resultat davon, das heiβt, beides sind grundlegende Prinzipien, die unserer Natur innewohnen. Eine Kultur, die sich an diese Prinzipien hält, erfüllt fundamentale Erfordernisse für gesellschaftlichen Wohlstand und Zusammenhalt.

Die Hispanität

Spanien ist stolz darauf, die „neue Welt“ in Übersee, die wir Amerika nennen, entdeckt zu haben und feiert es alljährlich am 12. Oktober als Nationalfeiertag mit Posaunen und Trompeten, Militärparaden und Zurschaustellung der Kriegsgerätschaften. Die offizielle Geschichte verschweigt die Tatsache, das das Land bereits von anderen Leuten entdeckt worden war, die dort schon seit Tausenden von Jahren lebten und ihre eigenen Zivilisationen entwickelt hatten. Die blutige und durch ständige Gewaltanwendung durchgesetzte Invasion und Kolonisation, derer natürlich auch andere europäische Länder schuldig sind, wird als Heldentat gefeiert. Im Laufe der Jahrhunderte bis zum heutigen Tag verbirgt der spanische Staat der Bevölkerung, was die Kriege und Völkermorde, die begangen wurden, um die eigenen Territorien zu erweitern, wirklich gekostet haben. Auch die Folgen davon werden gröβtenteils verleugnet. Höchstwahrscheinlich sind weite Bereiche der Bevölkerung und ihre Vertreter in der Verwaltung des Staates sich der Zusammenhänge wirklich nicht bewuβt.

Am 12. Oktober 2018 versuchte im Fernsehen eine ältere Spanierin, zum Ausdruck zu bringen, was der Tag der Hispanität für sie bedeutet. Ihre Gefühle waren so heftig, daβ sie kaum ein Wort über die Lippen brachte. Das war keine Kameraangst; sie war höchst erfreut, im Fernsehen darüber sprechen zu können, was sie empfand, nur die Gefühlsladung war so heftig. Was sie empfand war so groβ und so ergreifend, sagte sie, daβ sie ein ganzes Jahr lang davon zehren konnte; sie empfand einen so groβen Stolz auf... dann konnte sie nicht weitersprechen, weil die Heftigkeit der Empfindung sie daran hinderte, Worte zu finden, um zu beschreiben, worauf sie stolz war. Ein typisches Symptom für Trauma ist es, nicht darüber sprechen zu können. Ein Stolz, der so groβ ist, daβ man ihn mit Worten nicht beschreiben kann ist für gewöhnlich der erträgliche Aspekt der unerträglichen Seite des Gefühls: Scham. Stolz und Scham sind die beiden Extreme eines Gefühls, das sich bezieht auf eine Bewertung der eigenen Person und Taten und auch der Gruppen, mit denen man sich identifiziert, und deren Taten. Ein gesundes Selbstwertgefühl würde sich ausgewogen in der Mitte zwischen den beiden Polen befinden.

Der Mythos des Ursprungs Spanien geht auf das sogenannte katholische Königspaar der spanischen Länder zurück, obwohl als Isabel starb, Fernando nicht weiterhin König von Kastilien blieb. Ein vereintes Königreich hat es also eigentlich gar nicht gegeben. Der Name Spanien ist die kastillische Übersetzung des lateinischen Namens Hispania, mit dem Rom die iberische Halbinsel bezeichnete. Isabel und Fernando zielten allerdings sehr wohl darauf ab, ihre Reiche auf die gesamte Halbinsel auszudehnen, und auch darüber hinaus. Sie erreichten ihr Ziel meist durch organisierte Gewaltanwendung, wie bei der Eroberung des Königreichs von Granada, des Königreichs von Navarra, der Kanarischen Inseln und verschiedener Bereiche Afrikas. Auch eheliche Verbindungen innerhalb des näheren Familienverbands, dienten dem Zweck, ihren Einfluβbereich zum Beispiel auch auf Portugal auszudehnen. Ein weiteres Instrument ihrer königlichen Macht war die Inquisition und die Zwangskonvertierung von Juden und Musulmanen, beziehungsweise deren Landesverweisung. Die Invasion der Länder in Übersee hat einen groβen Teil der Mittel zur Finanzierung all dieser Kriege eingebracht.

Spanien hat natürlich keinerlei Exklusive auf Habgier und Gräueltaten. Aber sie als Ausdruck der Gröβe des Landes zu feiern, anstatt die begangenen Verbrechen einzugestehen, die Schuld auf sich zu nehmen und im Maβe des Möglichen die angerichteten Schäden zu beheben, sichert die unendliche Wiederholung des moralischen und wirtschaftlichen Bankrotts, der Spanien in den letzten fünfhundert Jahren immer wieder gebeutelt hat und prägt die Spuren des posttraumatischen Streβes von Jahr zu Jahr ein biβchen tiefer in die kollektive Seele der Spanier ein.

Archetypische Funktionen

Archetypische Funktionen sind mit einer Art von Kraftfeld vergleichbar, das den Energiefluβ zwischen zwei Polen organisiert, wie in einer Batterie. Batterien müssen in einer bestimmten Ausrichtung in einen Apparat eingesetzt werden, um ihn ingang zu setzen. Wenn man sie verkehrt herum einsetzt, wird der Apparat nicht funtkionieren und kann nach einer Weile sogar beschädigt werden. Auch im Schwerkraftfeld sollte man mit den Füβen auf dem Boden bleiben, um eine stabile Grundlage zu haben und ein gutes Gleichgewicht und eine gute Orientierung der Körperstrukturen zu gewährleisten. Dasselbe gilt für die Funktionen, die zu dem Beruf oder der gesellschaftlichen Stellung einer Person oder zu den verschiedenen Institutionen des öffentlichen Lebens gehören.

Die archetypische Funktion des Staates ist die Verwaltung des öffentlichen Lebens zum Wohl der Bevölkerung. Wenn man die Institutionen des Staates dazu gebraucht, Güter, Macht und Privilegien auf Kosten der Bevölkerung zu horten, dann ist das so, als ob man mit den Händen auf dem Boden gehen und dabei die Füβe gen Himmel strecken würde. Eine Zeitlang mag die so zur Schau gestellte Macht Aufsehen erregen, aber es ist höchst kostspielig, sich in dieser Position zu halten, der Handlungsbereich ist stark begrenzt und früher oder später werden die Kräfte nachlassen und die zur Verfügung stehenden Mittel erschöpft sein.

Die Funktion von Religion ist es, Wege der Verbindung zur schöpferischen Kraft des Lebens herzustellen. Wenn diese Funktion zur Erwirkung persönlicher Vorteile und zur Unterstützung unhaltbarer Strukturen staatlicher Macht auf Kosten der Bevölkerung miβbraucht wird, gibt es keine Zuflucht mehr vor der Willkür, die das Zusammenleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt untergräbt, statt sie zu fördern, und die Menschen werden von der schöpferischen Quelle ihres Lebens abgespaltet.

Angesichts einer Gefahr sucht ein Kind instinktiv Zuflucht bei seinen Eltern, deren archetypische Funktionen nach Zeugung, Schwangerschaft und Geburt es sind, das Kind zu lieben, zu schützen, zu ernähren, zu kleiden, zu erziehen und auf das erwachsene Leben vorzubereiten. Wenn Eltern diese Funktionen miβbrauchen, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen oder um sich einer miβbräuchlichen Staats- oder Kirchengewalt zu unterwerfen, dann geht die Gefahr von ihnen aus oder wird durch sie übertragen. So werden die innerpsychischen und zwischenmenschlichen Gewebe zerstört, auf denen das Zusammenleben und die individuelle und kollektive Lebensqualität basieren; und die Entwicklung der Menschheit insgesamt bleibt in einem Teufelskreis zerstörerischer Beziehungen stecken.

Autonome Komplexe der Psyche

Wir wissen nicht, wie wir uns selbst handhaben können, weil wir es noch nicht gelernt haben. Wir sind komplexe Wesen, und es ist nicht einfach, die Vielfalt der Möglichkeiten, in denen wir unser Wesen zum Ausdruck bringen können, in den Griff zu bekommen. Vielleicht liegt es daran, da wir als Art noch recht jung sind, und wir gerade mal beginnen, über die Fähigkeiten zu verfügen, die nötig sind, um es zu lernen, über den anthropozentrischen und egozentrischen Standpunkt hinauszugehen, der die moderne und zeitgenössische Kulturgeschichte bisher beherrscht hat. Tatsächlich sind die fünfhundert Jahre, die vergangen sind, seit Kolumbus beschloβ, sechs „Exemplare“ der Leute mitzunehmen, die in dem Land wohnten, das er für seine Herrscher entdeckt zu haben behauptete, im geschichtlichen Maβstab keine besonders lange Zeit. Er hat keinen Gedanken darauf verschwendet, daβ die Leute, die dort lebten, diese Länder bereits entdeckt hatten, denn er erkannte ihnen den Status als Mensch mit den selben Rechten wie er selbst und seine Herrscher nicht zu. Da sie keine Christen waren, durften sie kein Land besitzen, so besagte das Gesetz, und man durfte sie unterwerfen und für alle möglichen Zwecke gebrauchen.

Diese Haltung ist im Grunde genommen nichts weiter als eine Frage der Territorialität und Hierarchie; es dreht sich darum, die Vorherrschaft über andere zu erlangen. Das sind Verhalten, die von einem der ältesten Teile unseres Nervensystems reguliert werden, der die Funktionen koordiniert, die uns am Leben erhalten: die Rhythmen des Kreislaufs, der Atmung, der Verdauung, Schlaf-Wachrhythmus, und auch die grundlegende Spannung der Muskulatur, die unseren Gewohnheitsmustern ihre Form verleiht, Instinkt-, Ritual-, Territorial- und Hierarchieverhalten. Dieser primitive Teil des Nervensystems hat sich seit seinem Ursprung in vorgeschichtlicher Zeit wenig verändert. Er weiβ nichts vom Verlauf der Zeit.

Die Verhaltens- und Haltemuster, an die wir uns gewöhnt haben, sorgen dafür, daβ wir Dinge so tun, wie wir sie tun, weil wir sie so tun, und auf dieser Ebene nicht wissen, daβ wir sie auch nicht tun oder anders tun könnten. Die Dinge so zu tun, wie wir es gewohnt sind, hat es uns ermöglicht zu überleben; das ist offensichtlich, denn wir sind hier am Leben und, als wir damit begannen, sie zu tun, war es aufgrund eines Reizes, der unser Leben zu bedrohen schien. Das kann etwas ganz einfaches gewesen sein, wie zum Beispiel sich nicht liebenswert zu fühlen, weil wir ein schlechtes Gefühl im Körper haben, so sehr wir uns auch bemühen, ihm keinen Raum zu geben und gut zu sein. Wenn wir wirklich so schlecht sind, wie dies schlechte Gefühl zu besagen scheint, dann wird uns keiner lieben wollen, niemand wir bereit sein, für uns zu sorgen und uns zu beschützen; und da wir als kleine Kinder nicht in der Lage sind, für uns selbst zu sorgen, würden wir sterben müssen. Es könnte aber durchaus sein, daβ das schlechte Gefühl eigentlich von einem Trauma kommt, das unser Groβvater im Krieg erlitten hat, daβ unsere Mutter dann alles getan hat, um sich über die Empfindung in ihrem eigenen Körper hinwegzusetzen, die durch den Kontakt und den Umgang mit ihrem Vater dort entstanden sind, und sie auf demselben Weg an uns weitergegeben hat.

Wenn wir die physische Spannung unserer Muskeln dafür benutzen, den Fluβ der Empfindungen, die wir als nicht wünschenswert betrachten, zu unterbrechen, und diese Spannung zur Gewohnheit wird, bleiben diese unerwünschten Empfindungen im Köper, unterhalb der Bewuβtseinsschwelle. Sie stellen eine ständige Bedrohung dar und brechen hervor, wenn unsere Abwehrkräfte geschwächt werden. Sie nehmen Raum im Körper ein, senden eine Resonanz aus und treten hervor in Reaktion auf Reize, die den Bedingungen, unter denen sie ursprünglich entstanden sind, ähneln. So tragen sie dazu bei, immer wieder Situationen zu schaffen, die solche Empfindungen erneut hervorrufen, selbst wenn die ursprüngliche Situation zum Leben eines Vorfahren gehörte, hat sie doch ihre Spuren in unserem Körper hinterlassen, übertragen durch Kontakt, Vererbung oder die Dynamiken im Kraftfeld der Familie.

Die Spannung trennt die Teile des Körpers und der Psyche, in denen sich diese Empfindungen befinden, vom Rest unserer Persönlichkeit ab. So können sie nicht an der Entwicklung der Fähigkeiten des Erwachsenwerdens teilnehmen. Sie bleiben in dem Entwicklungsstand stecken, in dem wir damit begannen, die Empfindungen, die wir dort hüten, aus unserem Bewuβtsein zu entfernen.

Carl Gustav Jung nannte jene abgetrennten Teile der Psyche autonome Komplexe. [Jung, 1969] Wenn ein Ereignis einen autonomen Komplex aktiviert, dann verschwinden die Fähigkeiten, als Erwachsener Mensch zu funktionieren, von der Bildfläche, als ob man besessen wäre oder unter einem Zauberbann stünde. Diese Reaktivität beherrscht die Wahrnehmung der Person, so daβ alles durch den Filter des Komplexes geht und man nicht mehr vernünftig denken kann.

Kulturkomplexe

Der Leiter der Depth Psychology Alliance James Newell beschreibt einen Komplex als
... ein Netzwerk von Vorstellungen und Gefühlen, die in Vergessenheit geraten sind oder ganz einfach zu kompliziert waren, um in einem früheren Entwicklungsstand verarbeitet werden zu können. Aber die in diesen Komplexen enthaltene Energie funktioniert auf autonomer Ebene weiter und stört unsere bestfundierten Pläne, ungeachtet unserer bewuβten Absichten. [Newel, 2018)]

Nicht nur Personen sondern auch Kulturen können unter den Bann autonomer Komplexe fallen. [Kimbles 2000] Oft ist der Beginn des Entstehens eines Komplexes auf ein darunterliegendes Trauma zurückzuführen. [Newell 2018] Bisher hat sich die Forschung bei posttraumatischem Streβ hauptsächlich auf Opfer und Zeugen von Gewalttätigkeit und anderen moralisch abstoβenden Verhalten konzentriert. Aber die Symptome des posttraumatischen Streβes findet man auch bei Personen, die Gewalttaten begehen, selbst wenn sie es unter dem Schutz des Gesetzes oder sogar zu dessen Verteidigung tun. [MacNair, 2005]. 

Die fixe Idee des spanischen Staates hinsichtlich der Einheit Spaniens ist ein Beispiel eines Kulturkomplexes. Abgesehen von den wirtschaftlichen Kosten, dem vergossenen Blut, den Toten, der Verwüstung und Erosion des eigenen Landes, ist einer der folgenreichsten Kosten der Gewalttaten, die begangen wurden, um diese Vorstellung den Völkern aufzuzwängen, die diesbezüglich eine andere Vorstellung haben, die Abspaltung der Menschen von ihrem inneren Wesen. Sie haben die Verbindung zu sich selbst verloren und können auch zu anderen und zu der schöpferischen Kraft des Lebens keine Verbindung mehr herstellen. 

Ein Teil der kollektiven Psyche der Spanier ist gefangen im Netz der Vorstellungen und Gefühle der Verantwortlichen für das Blutvergieβen und Leiden der Menschen, das deren Bestreben, die Einheit Spaniens koste-es-was-es-wolle durchzusetzen, verursacht hat, und ist in dem Entwicklungsstand jener Zeit stecken geblieben. Ungeachtet der gegenwärtig bewuβt erklärten Absicht, als demokratischer Rechtsstaat zu funktionieren, läβt der Komplex die dafür notwendigen Fähigkeiten von der Bildfläche verschwinden. Die Institutionen des Staates und weite Bereiche der spanischen Bevölkerung sind in diesem Netz gefangen, denn die damit zusammenhängenen Vorstellungen und Gefühle konnten zum Zeitpunkt des angeblichen Ursprungs Spanien nicht verarbeitet werden, da dies unter anderem den Mythos der Überlegenheit des Christentums infrage gestellt hätte. Die Energie dieser Vorstellungen und Gefühle funktioniert weiterhin auf autonomer Ebene und stört das demokratische Zusammenleben. Der bewaffnete Aufstand unter der Führung von General Franco und das von ihnen durchgesetzte Regime ist ein Beispiel einer kompletten Aktivierung dieses Kulturkomplexes, dessen Auswirkungen sich bis in die heutige Zeit erstrecken. 

Um aus der Besessenheit aufzuwachen  und das innere Gleichgewicht, persönlich und kollektiv, wiederherzustellen, muβ man diese Vorstellungen und Gefühle erkennen als das, was sie sind: das Ergebnis der Bestrebungen einiger Leute, die Abspaltung von ihrem inneren Wesen aufgrund des Traumas durch die Handlungen, die sie selbst und ihre Vorfahren begangen hatten, durch ihren Machthunger zu kompensieren. Wenn man die Vorstellungen und Gefühle versteht in dem Zusammenhang, in dem sie entstanden sind, wird es dem Nervensystem helfen, sich auf den Stand des Wirklichkeit des gegenwärtigen Moments zu bringen.

Eine Welt der Verbindungen und Beziehungen

In Wirklichkeit leben wir in einer Welt, deren Teile auf allen Ebenen untereinander verbunden sind und miteinander in Beziehung stehen, in der Konzepte, die gewissen Teilen Vorrang vor anderen geben, keinen Platz haben. Die Einheit Spaniens kann man nicht verteidigen, weder mit Waffengewalt noch mit Gerichtsverfahren, denn sie ist nur ein Wunsch einiger Leute, der mit dem Recht anderer Leute, etwas anderes zu wollen, zusammenstöβt. In Wirklichkeit gibt es sie nicht. Die Anwendung von Gewalt, um den Willen einiger Leute anderen aufzuzwingen, kann eine Zeit lang gelingen, denn sie erweckt Angst. Aber die Angst lähmt die menschliche Entwicklung aller: der Opfer, der Täter, der Zeugen, die zuschauen, ohne etwas tun zu können, um der Gewaltanwendung Einhalt zu gebieten, und derjenigen, die den Blick abwenden, um die Gewalt nicht sehen zu müssen.

Um verantwortlich handeln zu können, benötigen wir eine klare Wahrnehmung der Wirklichkeit unseres eigenen Wesens als Lebewesen, als Einzelperson, als Mitglieder der Kollektive zu denen wir gehören, unserer näheren und weiteren Umgebung und der Beziehungen zwischen all dem. Der erste Teil unseres Nervensystems, der sich nach der Geburt entwickelt, reguliert Sinneswahrnehmungen. Die Strukturen, die ein Bewuβtsein der eigenen Existenz als ein „Ich“ ermöglichen, entwickeln sich erst später, unter dem Einfluβ der Sinneseindrücke der ersten Zeit.

Die Erkenntnis von Gut und Böse, die uns aus dem paradisischen Zustand des Verschmolzenseins mit der Gesamtheit vertrieben hat, das für die Anfangphase des Lebens typisch ist, führt uns dazu, uns mit den Formen der Haltung und des Verhaltens zu identifizieren, die wir geschaffen haben, indem wir unsere Muskeln anspannten, um unangenehme (böse) Empfindungen zu vermeiden und uns zu bemühen, angenehme (gute) Empfindungen zu erwirken. Aber was aus einer Perspektive gut erscheint kann von einem anderen Standpunkt aus betrachtet böse sein und umgekehrt.

Die Empfindungen, die uns Angst machen, die uns weh tun oder aus irgend einem anderen Grund unerwünscht sind, können Information vermitteln, die lebenswichtig sein kann. Sie aus unserem Bewuβtsein fernzuhalten kann dazu führen, daβ wir plötzlich Energien oder Situationen ausgesetzt sind, die unser Leben bedrohen. Aus der Erkenntnis von gut und böse, gut und schlecht, ergeben sich zwei Bewegungen: auf etwas zugehen oder sich davon entfernen, Anziehung, Affinität, Liebe einerseits und Ablehnung und Angst anderseits. Ablehnung und Angst erfüllen eine wichtige Funktion, die unsere physischen und psychische Unversehrtheit und unser Leben schützen können; aber allein die Bewegung des sich Näherns, die Affinität, die Anziehungskraft, die Liebe fördert die Weiterentwicklung des Lebens in der Vielfalt der Formen, in der die Komplexität und Verschiedenartigkeit des Lebens Ausdruck findet, die es bereichern und befähigen, mit jeglicher Art von Situationen kreativ furchtlos umgehen zu können. Wenn wir uns innerlich den Empfindungen nähern, die ständig im Körper vor sich gehen, auch wenn sie Angst machen, kann das Aspekte unserer Geschichte enthüllen, die es ermöglichen, alte Wunden zu heilen, unterbrochene Verbindungen wiederherzustellen und Wege zu eröffnen, auf denen Liebe und Verständnis flieβen können.

Empfindungen erkennen lernen

Die Reaktivität der Spannungsmuster unserer Gewohnheit auf der Grundlage von Ablehnung, Angst, Machthunger und dem Begierde geliebt zu werden, isolieren die Menschen, denn sie wissen nicht, daβ sie selbst sich von der Gesamtheit des Lebens abspalten, wenn sie Teile ihres eigenen Wesens, die ihnen unerträglich erscheinen, aus dem bewuβten Empfinden fernhalten. So schafft zum Beispiel die Weigerung des spanischen Staates, das Selbstbestimmungsrecht des katalanischen Volkes anzuerkennen, genau die Abspaltung, die er fürchtet und über die er sich ärgert.

Da der Schatten dessen, was wir in unserem eigenen Innern nicht sehen können, auf die Umwelt projiziert wird, ist es möglich ihn zu erkennen durch die Empfindungen, die auftauchen im Zusammenhang mit den heftigen Gefühlen, die gewisse Personen, Haltungen oder Situationen in uns erwecken. Statt in Reaktivität zu verfallen, können wir in der Heftigkeit unseres Gefühls uns selbst im Spiegel der Situation sehen. Dafür ist es unabdinglich zu lernen, die Empfindungen, die ständig in unserem Innern ablaufen, wahrzunehmen. Nur so können wir unterscheiden zwischen Empfindungen, die uns über Zustände informieren, die eine Handlung erfordern, und solchen, die uns in der Reaktivität zerstörerischer Automatismen halten. Auch wenn diese in der Vergangenheit dazu gedient haben, Dinge aus unserem Bewuβtsein fernzuhalten, die wir im damaligen Moment nicht ertragen konnten, um das innere Gleichgewicht wiederherzustellen, ist es unabdinglich, über diese Automatismen hinauszugehen.

Die Angst vor den Empfindungen, die wir damals von unserem bewuβten Erleben abgespalten haben, hält uns in der Reaktivität auf die Situation jener Zeit fest. Die Liebe zum Leben gibt uns den Mut, uns diesen Empfindungen zuzuwenden. Möglicherweise führt das zu der Erkenntnis, daβ wir auf einige Privilegien verzichten sollten, aber die Verbindungen und Beziehungen zu der wunderbaren Unermeβlichkeit der Welt sind unendlich viel reichhaltiger, interessanter und befriedigender als alle Privilegien, die man auf Kosten anderer erreicht haben mag. In jedem Fall eröffnen sich durch die bewuβte Erfahrung dieser Empfindungen Wege, den Teufelskreis des generationsübergreifenden Traumas in eine Lernspirale zu verwandeln.


Schluβwort

In den letzten Jahren wird mehr denn je die Notwendigkeit deutlich, die Dynamiken von Traumata zu verstehen, denn ein solches Verständnis kann nicht nur für eine wirksame Behandlung traumatisierten Patienten von Bedeutung sein, sondern es kann uns auch Wege eröffnen zur Lösung der humanitären und ökologischen Krisen, die wir geschaffen haben.

Menschen, die eine lange Zeit unter traumatischen Umständen leben, neigen dazu, sich daran zu gewöhnen, ohne das innere Gleichgewicht wieder herzustellen, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Sie bleiben in den Abwehrmechanismen stecken, die es ihnen ermöglicht haben, sich anzupassen und zu überleben –Kampf, Flucht, Erstarrung oder Erschlaffung, durch Verhaltensmuster, die von einem primitiven Teil des Nervensystems gelenkt werden, der sich seit seines Entstehens in vorgeschichtlicher Zeit kaum verändert hat. Diese Mechanismen werden an die nachfolgenden Generationen weitergegeben, und unterhalb der Bewuβtseinsschwelle liefern sie den Antrieb für die Neuerschaffung ähnlicher traumatischer Bedingungen.

Damit das Nervensystem sich auf einen aktuellen Stand bringen kann, braucht man Zeit, um traumatische Erlebnisse zu verdauen, sogar und ganz besonders, wenn die Symptome sich in der Generation der Kinder und Enkel zeigen. Die Empfindungen, die zu den Erlebnissen der Vergangenheit gehören, müssen erkannt werden, auch wenn die Abwehrreaktion gegen das Trauma sie lebendig erscheinen läβt, so als wären sie tatsächlich gegenwärtig. Wenn Eltern und Groβeltern noch am Leben sind, können wir sie fragen, und sie können uns erzählen, wie sie sich gefühlt haben unter den Bedingungen, die sie traumatisiert haben. Höchstwahrscheinlich haben sie jedoch viel Energie darauf verwendet, sich unempfindlich zu machen. Wahrscheinlich haben sie sich ihr Leben lang bemüht, sich über die Empfindungen, die sie damals nicht zulassen konnten, hinwegzusetzen. Auch für sie kann es eine Gelegenheit sein, etwas zu verdauen, was unterschwellig gärt und sich nur durch Symptome bemerkbar macht, von denen keiner genau weiβ, woher sie stammen. Wenn wir ihnen zuhören und uns dabei vorstellen, was sie unter jenen Bedingungen wohl empfunden haben mögen, können wir Fragen stellen, die dabei helfen, die wichtigen Dinge aus der Vergessenheit hervorzuholen. Wenn sie bereits gestorben sind, bleibt uns nur unser Vorstellungsvermögen, Bücher, Artikel, Spiel-und Dokumentarfilme, die uns jene Zeit vor Augen führen können, und Gespräche mit Leuten, die ähnliche Erfahrungen hatten. Viele haben die eine oder andere Andekdote gehört, als wir klein waren, aber die wenigsten von uns haben je versucht sich vorzustellen, wie wir uns wohl gefühlt hätten an der Stelle der Eltern oder Groβeltern im Krieg und unter dem totalitären Regime, die ihr Leben bestimmten.

Die Zeit, die dieser inneren Arbeit gewidment wird, ermöglicht es den höher entwickelten Teilen der menschlichen Psyche die Gewohnheitsmuster zu erkennen und verstehen, die von einem primitiven Teil des Nervensystems gelenkt werden und uns vor Empfindungen geschützt haben, die wir nicht verstehen konnten, weil die Teile unseres Nervensystems, die für ihre Erkenntnis und Verarbeitung nötig sind, sich noch nicht entwickelt hatten. So können die erwachsenen, höher entwickelten Teile der Person für die jüngeren sorgen, die abgesondert von der Welt in den unerträglichen Empfindungen der eigenen Vergangenheit und der unserer Vorgänger gefangen sind. Dann können der Organismus und die Psyche das, was für das weitere Leben nützlich ist, assimilieren und das, was schädlich ist und nicht mehr zutrifft, loslassen.

Ein kollektives Symptom der Wirkung nicht verarbeiteter generationsübergreifender Traumata ist das Wiederaufleben rechtsextremer Bewegungen in der ganzen Welt mit gewalttätigen Haltungen und Verhaltensweisen gegenüber Personen und Kollektiven, die von diese Gruppierungen als bedrohlich angesehen werden. Um nicht in einen Teufelskreis zu verfallen und von der Erfahrung der traumatischen Vergangenheit von Kriegen, totalitären Regimes und unerträglicher Schuld und Scham zu lernen, scheint es lebenswichtig zu sein, die Spuren der Auswirkungen nicht verarbeiteter Traumata unseres Vorgänger im eigenen Körper und im eigenen Leben zu erkennen. Wenn wir den soziokulturellen, historischen und wirtschaftlichen Kontext des Lebens unserer Eltern und Groβeltern in Betracht ziehen, der sich in den unangenehmen Empfindungen wiederspiegelt, die sich unter den anfänglichen Bedingungen unseres Lebens in die Gewebe unseres Körpers eingeprägt haben, werden sie um Einiges erträglicher. Anstatt in Mutlosigkeit zu verfallen, weil wir anscheinend irgendwie fehlerhaft sind und nicht in der Lage, dem selbst durch jahrlange Therapie Abhilfe zu schaffen, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie unsere Vorfahren sich unter den traumatischen Bedingungen ihres Lebens gefühlt haben mögen, und die Empfindungen, die sie unter jenen Bedingungen nicht zulassen konnten, im eigenen Körper erkennen, dann taucht anstelle der Mutlosigkeit, der Scham, des Leidens oder der Wut Verständnis und Mitgefühl auf und auch Dankbarkeit dafür, daβ wir unter besseren Bedingungen leben können. So werden durch Traumata abgetrennte Verbindungen wieder angeknüpft und die Liebe, die uns mit unserer Familie verbindet, kann flieβen und hilft uns dabei, die Spannung zu lösen, mit der wir uns gegen jene Empfindungen geschützt haben. So können wir vielleicht zum ersten Mal im Leben ganz bewuβt empfinden, wie wir in der gesellschaftlichen und natürlichen Welt, zu der wir gehören, tief verwurzelt sind. Die Bande der Liebe, die Familienmitglieder mit einander verküpfen, werden stärker und reichen auch über den Tod hinaus. Daraus entsteht eine tiefe Wertschätzung des Lebens in all seinen Erscheinungsformen, des eigenen und des aller anderen. Dann kann man in Freude leben, selbst angesichts von Schmerz.

Ich beginne dieses Vorwort am 6. Dezember 2018, wiederum ein besonderes Datum: die spanische Verfassung wird 40 Jahre alt. Archetypischerweise ist das ein Alter im Lebens eines Menschen, wo man sich fragt: von dem, was ich bisher in meinem Leben getan habe, was möchte ich aufrechterhalten und weiterentwickeln in den Jahren, die mir noch bleiben? Von dem, was ich geopfert habe, um es bis hier zu schaffen, was möchte ich in mein weiteres Leben wiedereinbringen? Von dem, was jetzt in meinem Leben vorhanden ist, was möchte ich hinter mir lassen? Artikel 2 der Verfassung Spaniens hält die spanische Gesellschaft in dem Teufelskreis ihrer traumatischen Vergangenheit gefangen: die mutmaβlich unauflösbare Einheit dessen, was ein Teil der spanischen Nation –wenn es sowas überhaupt gibt- als das gemeinsame untrennbare Vaterland ansieht all jener, die dieser Teil als Spanier betrachtet, weil vielen das Spaniersein mit Gewalt und teils durch völkermörderische Mittel aufgezwungen wurde.

Neben den Tatbeständen von Mord und physischer Vernichtung von Menschen und Geburtenkontrolle, bezeichnet der Ausdruck Genozid, also Völkermord, "einen koordinierten Plan, der darauf abzielt, durch verschiedene Handlungen wesentliche Grundlagen des Lebens nationaler Gruppen zu vernichten, um die Gruppen selbst zu vernichten" [Lemkin, 2008 and Power, 2013], wie zum Beispiel die ständig wiederholte Behauptung das katalanische Volk sei kein Volk, die dauernden Bemühungen, es spanischzu machen, die Versuche, den Unterricht in katalanischer Sprache zu unterbinden, die Annulierung einer ganzen Reihe von Gesetzen, die von der katalanischen Regierung inkraft gesetzt wurden, die gerichtliche Verfolgung von vom katalanischen Volk gewählten Volksvertretern. Die Verbrechen des Völkermordes verjähren nicht, auch nicht nach achtzig, dreihundert oder fünfhundert Jahren. In damaliger Zeit gingen die völkermörderischen Bestrebungen weit über die auch heute noch betriebenen hinaus. Es kann keine Amnistie geben ohne eine Gerichtsverhandlung, in der die stattgefundenen Verbrechen geklärt werden und deren Täter als solche bekannt werden. Eine Verfassung, die eine Klausel beinhaltet, die als Recthfertigung für die Vernichtung wesentlicher Lebensgrundlagen eines Volkes ausgelegt werden kann und dessen Existenz als solches verleugnet, hält das Land in einem Konflikt mit einem Teil der Menschheit. So kann keine Basis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein friedliches Zusammenleben entstehen, weder für die Menschen, die in diesem Land leben, noch für dies Land im Verhältnis zu den anderen Ländern der Welt.

Man mag so viele Mittel darauf verwenden, wie man will, die Verbrechen gegen die Menschheit zu verhüllen, die begangen wurden, um die verschiedenen Völker der iberischen Halbinsel unter einem Regime zu vereinen, und sich den Anschein eines demokratischen Rechtsstaates zu geben trotz aller Verbrechen. Die Schuld bleibt bestehen und die Tatsachen machen die Realität offenkundig. Diese Klausel der Verfassung erhält den Teufelskreis von Fehlhandlungen, Bankrot und Trauma aufrecht, die den spanischen Staat in seinem Bann hält. Um ein demokratischer Rechtstaat zu werden, muβ man es lernen, sich demokratisch zu verhalten. Das bedeutet, man muβ den Beschluβ des Volkes anerkennen und es zulassen, daβ die Menschen, die vom Volk gewählt wurden, um diesen Beschluβ durchzuführen, das auch tun können, ohne sie dafür ins Gefängnis zu werfen, ohne sie zu verfolgen und ohne sich hinter verfassungswidrigen Formulierungen zu verstecken, selbst wenn diese -irrtümlicherweise oder unter Androhung von Waffengewalt- in die Verfassung aufgenommen wurden.

Um es zu lernen, sich demokratisch zu verhalten, muβ man sich zunächst einmal die Gewohnheitsmuster zu Bewuβtsein bringen, die einen enormen Teil unserer Verhaltensweisen bestimmen. Eine Vielzahl dieser Muster verankert uns in der Vergangenheit, wenn wir es nicht lernen, sie zu erkennen, sowohl im Bereich des körperlichen Empfindens als auch im Bereich des rationalen Verstehens, und uns nicht darum kümmern, ein für das gegenwärtige Leben besser geeignetes Benehmen zu entwickeln. Ein Weg, der Zugang zu einem solchen Lernerlebnis gewährt, führt durch die Bewuβtmachung des Verhältnisses zwischen dem Körper und der physischen Umwelt, das heiβt, der Boden unter den Füβen und der Raum um uns herum. Wenn wir bemerken, wie wir mit unserem Körper Raum einnehmen und uns bewegen im Leben, können wir die Formen, die wir dabei einhalten, regulieren und alternative Formen finden, in denen die Schwerkraft uns aufrecht erhält und die uns mehr Bewegungsfreiheit und Ansprechbarkeit gewähren, anstatt der einschränkenden Muster, die unter traumatischen Umständen entstanden sind.

Gerade jetzt, wie fühlt sich das Verhältnis an zwischen dem Körper und den Teilen der materiellen Welt, mit denen er in Berührung kommt? Das Gewicht des Körpers drückt ihn gegen die Oberflächen, die er berührt, und dieser Druck ändert sich mit den Bewegungen der Atmung. Wenn du keine Änderung feststellen kannst, dann liegt das daran, das deine Atmung stark begrenzt ist, oder deine Art zu sitzen oder zu stehen die Ausdehnung der Innenräume des Körpers behindert. Die Luft, die bei Einatmen in den Körper flieβt hat einen Umfang und ein Gewicht. Sie dehnt den Körper aus und drückt ihn gegen die Sitzfläche und die Rückenlehne, während wir sitzen, und bewegt den Körper in den Fuβgelenken, während wir stehen. Die Bewegung des Ausatmens orientiert uns in Richtung Mittelachse des Körpers und Fuβboden. Die Muskeln, die die Arbeit des Einatmens ausgeführt haben, entspannen sich beim Ausatmen. Das heiβt, während wir ausatmen, können wir ganz in der Tiefe des Lebewesens, das wir sind, und in die materiellen Welt, von der wir ein Teil sind, einen Moment lang ausruhen. Während die Luft ohne weiteren Druck einfach hinausflieβt, können wir feststellen, inwieweit wir in unserem inneren Wesen und in der Welt, zu der wir gehören, ruhen können. Fühlen wir uns verbunden mit der Welt? Halten wir sie auf Abstand? Oder halten wir uns auf Abstand? Genieβen wir einen liebevollen Austausch und ein liebevolles Verhältnis auf allen Ebenen? Haben wir Angst, die äuβere Welt in die Tiefe des Intimbereichs unseres inneren Wesens zu lassen und zu sehen und zu zeigen, was wir tief im Innern fühlen? Finden wir dort Lebensfreude und Bewunderung für die Schönheit der Welt? Verstecken wir uns vor einer Welt, die wir als bedrohlich empfinden?

All diese Dinge können wir nur im gegenwärtigen Moment beobachten. Wenn wir es üben, die Körperempfindungen wahrzunehmen, können wir jeweils die Formen finden, die es dem Fuβboden ermöglichen, das Gewicht unseres Körpers voll zu unterstützen, so daβ die Atmung ohne Hindernisse tief und geruhsam ablaufen kann in einem ständigen Fluβ zwischen dem Raum im Innern des Körpers und dem Raum um ihn herum. Dann können wir spüren, wie das Bewuβtsein des „Ichs“, das wir unter den Bedingungen am Anfang unseres Lebens geschaffen haben, tief im Selbst des Lebewesens, das wir sind, verwurzelt ist und können uns an der Energie laben, die entlang der Achse flieβt, die Ich und Selbst verbindet [Edinger, 1992], und erkennen, daβ wir ein Individuum sind, das gleichzeitig einzigartig und universal ist. Als solches können wir einen proportionalen Anteil des generationsübergreifenden kollektiven Traumas lösen, daβ in jedem von uns verkörpert ist.

Die Fähigkeit, sich von negativen Zuständen zu erholen, ist eine von vier Fähigkeiten, die langanhaltenes Wohlbefinden beeinfluβen, für die es angeborene Schaltkreise im menschlichen Gehirn gibt: die anderen drei sind die Fähigkeit, positive Zustände aufrechtzuerhalten, die Fähigkeit sich zu konzentrieren und sich nicht zu zerstreuen, und die Fähigkeit groβzügig zu sein. [Davidson, 2018] Selbst Menschen, die sich mit geschwollener Brust auf ein hohes Roβ schwingen, um die Objekte ihrer Begierde zu erobern, haben diese Fähigkeiten und auch jene, die sich unter der Toga der Rechtsprechung verstecken, um Menschen verurteilen zu können, die das politische Mandat erfüllen, für das sie gewählt wurden; und sogar jene, die Gift und Lügen spucken, wenn die den Mnd aufmachen haben diese vier Fähigkeiten. Nur lassen sie sie nicht zum Zug kommen, weil sie die Menschen in Wir und Andere aufteilen. Ihr Leben ist von Angst beherrscht, mehr als von Liebe, und sie zielen es darauf ab, daβ wir uns alle an die Angst und Gewalttätigkeit, die sie verbreiten, anpassen. Zum Wohle aller sollten wir dafür sorgen das auf gar keinen Fall zuzulassen, sondern ihnen Grenzen setzen mit Mitgefühl und dem Verständnis der Ursachen. Wenn wir nocht wissen, wie man das tut, können wir es lernen, die in unserer Natur liegenden Fähigkeiten auszuüben und anzuerkennen, daβ ausnahmslos alle zur Gemeinschaft der Lebewesen gehören. Der Glaube, besser zu sein, einer höheren Kategorie anzugehören und Recht auf eine besondere Behandlung zu haben, verhüllt eine tiefe unerträgliche Scham, denn das schlechte Gefühl im Köper scheint zu besagen, man sei unannehmbar, gering, schlecht. Das ist eine toxische Scham, man schämt sich dafür, das zu sein, was man ist; und eine solche Scham hört niemals auf. [Bradshaw, 1988],  In einem Teufelskreis bringt sie immer wieder schamvolle Situationen zustande. 

Eine gesunde Scham fühlt man, wenn man merkt, daβ man einen Fehler gemacht hat. Sie dauert eine gewisse Zeit lang, und dann ist sie vorbei. Sie ermöglicht es, von unseren Fehlern zu lernen und die Freude zu finden, die aus der Zusammenarbeit, der gegenseitigen Hilfe und der Groβzügigkeit erwächst, die Ausdruck der menschlichen Natur sind. Aber um dort hin zu gelangen, ist es oft nötig, zuerst einmal den Komplex zu erkennen und zu desaktivieren, der die natürlichen Fähigkeiten der Menschen von der Bildfläche verschwinden läβt und sie zu schändlichen Verhaltensweisen treibt. Im Fall eines Kulturkomplexes, wie zum Beispiel der Idee der unteilbaren Einheit Spaniens, vom der das ganze Land beziehungsweise ein groβer Teil der Bevölkerung wie bessesen ist, können individuelle Lösungen einen solchen Komplex nicht brechen. Ein Kulturkomplex hindert die Menschen daran, sich selbst und andere so sehen, wie sie sind. Er funktioniert jenseits des individuellen Standpunkts der einzelnen Menschen und ist viel zu groβ, als das ein Einzelner ihm entgegentreten könnte. Er erfordert eine kollektive Lösung. [Kimbles, 2000] Aber um eine wirksame kollektive Lösung erarbeiten und durchführen zu können, scheint es erforderlich, daβ eine genügende Anzahl von Menschen die innere Arbeit erledigen, sich von der Besessenheit der ererbten traumatischen Prägungen zu befreien. Die eigenen emotionalen Gehalte von denen zu unterscheiden, die zu den nicht verarbeiteten Erlebnissen ihrer Vorgänger gehören, ermöglicht es, Bewegungsfreiheit und Ansprechbarkeit zu gewinnen, und sich ganz besonders einen gewissen Handlungsspielraum zu erarbeiten, um zu vermeiden, daβ die ererbten Abwehrmechanismen gegen die Traumata der Vergangenheit unbewuβt ausgelöst werden und einen Teufelskreis der Reaktivität auf Reize ingang setzen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem urspünglichen Trauma aufweisen.

Vom Gesichtspunkt dieser Analytikerin archetypischer und somatischer Muster erscheint die Selbstbestimmung des katalanischen Volkes in Form einer katalanischen Republik eine wirksame kollektive Lösung zur Desaktivierung des Kulturkomplexes, der die spanische Monarchie im Bann des Teufelskreises von Bankrott hält, eine Lösung des kollektiven generationsübergreifenden Traumas, aus dem er entstanden ist, und eine Lösung zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts in Spanien und Katalonien. Die Umorientierung und Neuorganisation, die das mit sich brächte, hätten bestimmt auch in anderen Ländern positive Auswirkungen für ein friedliches Zusammenleben.

Diese Trilogie wurde geschrieben, um die Früchte von 30 Jahren Arbeit als zertifizierter Praktiker des Duggan/French Approach für somatische Mustererkennung seit dem 20. Dezember 1988 zu feiern. Vielen Dank, Annie B. Duggan und Janie French: ihr habt mir genau das beigebracht, was ich lernen muβte, um das zu heilen, was mich krank machte!

Wenn die Lektüre dieses Textes dir etwas eingebracht hat, das du bereit bist zu vergüten, kannst du einen Beitrag an den Rat der Republik, el Consell de la República, leisten zur Schaffung einer katalanischen Republik, und zwar indem du dich ins Bürgerregister einschreibst, wo immer du auch lebst. https://consell.republicat.cat/?locale=de. Wenn Du nur eine Spende geben möchtest, ohne dich m registrar einzutragen, kannst Du es hier tun: www.defensaexili.org. Du kannst aber auch einen Beitrag zur Solidaritätskasse machen, aus der die finanziellen Repressalien der spanischen Justiz gegen Personen für ihre Beteiligung am Prozeβ des Referendums zur Selbstbestimmung Kataloniens im Rahmen friedlicher, gewaltloser, demokratischer Veranstaltungen bestritten werden. Hier ist der entsprechende Link: https://caixadesolidaritat.cat/, bzw. die Kontonummer: ES31 3025 0001 1814 3361 5996

Wenn Du meine Hilfe möchtest bei deiner inneren Arbeit, kannst du mich über www.dfa-europa.com erreichen.


© Brigitte Hansmann, DFA Praktiker in Somatischer Mustererkennung und Archetypische Muster-Analytikerin

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Literaturhinweis

Bradshaw, J., (1988) Healing the Shame that Binds You, Deerfield Beach

Conforti, M., (1999) Field, Form and Fate – Patterns in Mind, Nature, and Psyche, Woodstock, CT: Spring Publications, 1999
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Davidson, R., citat per Abrams, D., (2018) co-autor junt amb el Dalai Lama i l’arquebisbe Tutu, D. The Book of Joy, London, p. 56s

Edinger, E. F., (1992) Ego and Archetype, Individuation and the Religious Function of Psyche, Boston

Hansmann, B., (1997) Con los pies en el suelo,  Barcelona
-    (2013) Respirar con árboles, Barcelona

Jung, C. G., (1969) Los complejos y el inconsciente, Madrid

Kaufman, Y., (2009), The Way of the imatge – An orientational approach to the Psyche, New York
Kimbles, S. L., (2000), “The cultural complex and the myth of invisibility”, The Vision Thing – Myth, polítics and Psyche in the World, ed. Singer T., London

Kolk, van der B., (2014) The Body Keeps the Score, New York

Lemkin, R., (1944, 2008) Axis Rule in Occupied Europe: Laws of Occupation - Analysis of Governement - Proposals for Redress, Washington http://www.preventgenocide.org/lemkin/AxisRule1944-1.htm (zuletzt gesehen am 21. Januar 2019)

Levine, P., (1999) Curar el Trauma, Barcelona

MacNair, R. (2005). Perpetration-Induced Traumatic Stress: The Psychological Consequences of Killing. Bloomington, IN: Authors Choice.

Newell, J. (2018), The Archetypal Roots of Multi-Generational Trauma in the Americas,  http://www.depthpsychologyalliance.com/profiles/blogs/roots-of-cultural-chaos , (24 de octubre 2018)

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Wilson, D. (1984), Pit River Nation: A Call for Native Unity, Akwesasne Notes, Mohawk Nation, via Rooseveltown, NY