Donnerstag, 12. Oktober 2017

Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel



Offener Brief:
Sehr geehrte Frau Merkel,

Zu allererst: Herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl!

Fassungslos steht diese selbsternannte internationale Beobachterin des spanisch-katalanischen Konflikts der Unverfrorenheit gegenüber, mit der die spanische Regierung die Tatsachen verdreht und sich dabei auch noch auf Rechststaatlichkeit und Verfassungstreue beruft. Daβ sie in dieser Haltung von internationaler Seite, insbesondere von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bestärkt wird, zeigt inwieweit diese ihren Blick abwenden von den tatsächlichen Gegebenheiten. Wie kann es sonst sein, daβ Sie nicht sehen, daβ die Worte der Regierung Projektionen der eigenen inneren psychischen Realität auf die katalanische Regierung und Bevölkerung reflektieren und mit den legitimen Bestrebungen und dem Verhalten der Bevölkerung Kataloniens und der von ihr gewählten Regierung nichts zu tun haben?

Es soll zugestanden sein, daβ es sich dabei möglicherweise nicht um kalte Berechnung handelt und die Menschen, die von den Völkern Spaniens beauftragt wurden, die Belange des Landes zu leiten, tatsächlich von der Berechtigung ihrer Ansprüche überzeugt sind. Aber die Handhabung der Verwaltung der Finanzen des Landes zeigt klar, dass diese Regierung Rechtsstaatlichkeit verhöhnt. Auch die Verfassungstreue der PP-Regierung ist höchst fraglich. Bis zuletzt weigerte sich die PP 1978 die Verfassung anzuerkennen. In den letzten Jahren scheute sie sich nicht, die Verfassung zu ändern mit dem alleinigen Ziel, die katalanischen Bestrebungen zur Selbstbestimmung behindern zu können.

Wenn europäische Leiter sich auf die Einhaltung der spanischen Verfassung beziehen, sollten sie dabei in erster Linie die spanische Regierung dazu auffordern, sich an Rechststaatslichkeit und Verfassungstreue zu halten. Wieder und wieder beruft sich die spanische Regierung auf den Artikel der Verfassung über die unteilbare Einheit des Vaterlandes aller Spanier, der vermeintlich mit den katalanische Bestrebungen nach Selbstbestimmung im Widerspruch steht.

In Europa weiβ man anscheinend nicht, daβ dieser Artikel unter Androhung von Waffengewalt in die Verfassung aufgenommen wurde. Zwar war ich persönlich nicht dabei, ich bin erst 1980 nach Barcelona gezogen, aber ich habe von zahlreichen verschiedenartigen Quellen –nicht nur katalanischen- immer wieder denselben Satz gehört: Das Militär saβ mit geladenen Waffen im Nebenzimmer.

Dieser Artikel steht im Widerspruch zu den Artikeln 95.1 und 96.1, die bestimmen, daβ internationale Pakte in die innere Ordnung aufgenommen werden, sobald sie ratifiziert und ordnungsgemäβ in Spanien veröffentlicht wurden, und daβ die Verfassung gegebenenfalls an internationale Pakte anzupassen ist. Noch bevor die spanische Verfassung verabschiedet wurde, wurde im offiziellen Staatsbulletin ein internationaler Pakt über das Selbstbestimmungrecht aller Völker veröffentlicht, der mit dem Artikel über die unteilbare Einheit des Vaterlandes aller Spanier nicht vereinbar ist, so daβ dieser aus der Verfassung gestrichen werden muβ. Oder aber Spanien muβ aus dem internationalen Pakt ausscheiden.


Was einen Dialog zwischen Präsident Puigdemont und Präsident Rajoy angeht, so wünschenswert er auch sein mag, wird er ohne eindeutigen Druck und Mediation seitens der internationalen Gemeinschaft wohl kaum zustande kommen. Bitte bedenken Sie, daβ Präsident Puigdemont von ganzem Herzen spricht und dabei die Herzenswünsche von Millionen von Katalanen an seiner Seite und hinter sich weiβ. Präsident Rajoy ist nicht in der Lage von Herzen zu sprechen, denn der Zugang zu seinem Herzen ist von unbewuβter Schuld versperrt. Seine Ansprachen gehen über die Worte, die von den Redakteuren seiner Reden vorgeschrieben sind, nicht hinaus. So geschieht es, zum Beispiel, daβ er als Leiter der Opposition die Durchführung des Referendums beantragt, die er als Leiter der Regierung einige Jahre später verweigert.

In Ihrem Kommentar über die letzten Wahlergebnisse in Deutschland stellten Sie die Frage, warum ein beachtlicher Anteil der deutschen Bevölkerung eine rechtsradikale Partei in den Bundestag gewählt hat.

Bitte nehmen Sie zwei bedeutende Gründe dafür zur Kenntnis: posttraumatischer Streβ und unbewuβte Schuld im Zusammenhang mit den zwei Weltkriegen und dem Dritten Reich, die seinerzeit nicht verarbeitet werden konnten. Ich nehme an, die Wunden waren zu tief, der Horror zu groβ und die Schuld unerträglich. Doch ist es unmöglich, diese der Realität entsprechenden Empfindungen einfach aus der Welt zu schaffen, so sehr man sich auch anstrengen mag, sie zu unterdrücken und zu verdrängen. Unterhalb der Bewuβtseinsschwelle  werden sie von Generation zu Generation übertragen, auf genetischem Wege sowohl als auch durch Verhaltensmuster, die in den ersten Lebensjahren entstehen. Solange diese unbewuβten psychischen Inhalte nicht individuell und kollektiv angesprochen und aufgearbeitet werden (und das ist möglich), werden sie immer wieder ähnliche Dynamiken zustande bringen. Auch der katalanisch-spanische Konflikt ist auf solche unbewuβten Dynamiken zurückzuführen.

Wegzuschauen vom Unrecht, das anderen angetan wird, gehört zu der Schuld, die auf vielen Deutschen und anderen Europäern auch in zweiter und dritter Generation noch lastet.

Die katalanische Bevölkerung und Regierung zeigt eine beispielhafte Reife in ihrem Beharren auf friedfertige Lösungen des Konfliktes durch Verhandlungen und Dialog, die einen Weg der Hoffnung für ein friedliches Zusammenleben aller Völker der Erde zeigt. Die Unverfrorenheit und Gewalttätigkeit der spanischen Haltung zeigen die Angst und Zerbrechlichkeit aus der sie erwachsen; sie führen in eine Richtung, die Angst und Zerbrechlichkeit allgemein in der gesamten Weltbevölkerung fördert.

Bitte denken Sie an die Absicht, die sie als junges Mädchen der Welt gegenüber erklärt haben. Bitte helfen Sie, den Bann zu brechen, unter dem die spanische Regierung und Leitung der Opposition stehen!

Weitere diesbezügliche Beobachtungen finden Sie auf englisch in A Breath of Fresh Air, auf spanisch und katalanisch in Aire Fresco und auf deutsch  in Ella Buchenwald (über die katalanische Frage nur ein Märchen und ein offener Brief, aber viel über Deutschland, posstraumatischen Streβ und unbewuβte Schuld).

Mit freundlichen Grüβen,


Brigitte Hansmann
Angewandte Sprachwissenschaften
Archetypische Musteranalyse
DFA Somatische Muster Erkennung
Strukturelle Integration
www.dfa-europa.com

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